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Wenn das Ottilie wüßte

■ Das Ambiente, Literatencafe am Osterdeich, feiert Geburtstag / Wo früher billig und alkoholfrei gespeist wurde, lesen heute DichterInnen, und ZuhörerInnen lassen beim Weserblick die Gedanken schweifen

Als vor etwa 6 Jahren der „Deutsche Frauenbund für alkoholfreie Kultur“ das letzte seiner „Ottilie Hoffmann-Häuser“ räumte, in dem zuvor die Frauenbündlerinnen den Menschen der „armen Schichten“ ein preiswertes Essen auf den Tisch gezaubert hatten, ahnte noch niemand, daß an die

sem Rundbau am Bremer Osterdeich das Cafe für Literatur und ihre Freunde entstehen würde.

Ottilie Hoffmann, Tochter einer bremischen Großhandelsfamilie und Namenspatronin der alkoholfreien Mittagstisch-Häuser, hatte gegen Ende des 19. Jahrhunderts die Idee dieser „Ab

stinenzlokale für die niederen Stände“ von einer ihrer Bildungsreisen nach England mitgebracht. Schockiert von einem Unglück, bei dem 40 Arbeiter - möglicherweise alkoholisiert, vielleicht auch aufgrund der Leichtbauweise, die dem Prinzip billigen Arbeitseinsatzes entspringt, die offizielle Meinung diagnostizierte jedenfalls Alkohol - von einem Gerüst gestürzt waren, setzte sie die Idee in die Tat um. Ein Netz solcher Häuser, die mit billigem Essen die Arbeiter lockten und ihnen den Alkohol vorenthielten, spannte sich über Bremen, wovon seit 1980 nur das „Milchhäuschen“ am Osterdeich noch übrig geblieben war, das bald ebenfalls mangels Rentabilität geschlossen wurde.

In den Reigen der Übernahmebewerber reihten sich damals Michael Bornmann, Nena Bülle, Heidi Janßen und Ludger Kohake, vier arbeitslose Lehrer, die dem drohenden Taxifahrer-Schicksal noch eine Idee und jede Menge Energie entgegenzusetzen hatten. Ein Literaturcafe an diesem wunderschönen Ort an der Weser, so lautete ihr Plan. Ihr

Konzept überzeugte selbst das Liegenschaftsamt, das ihnen nach einigen Monaten Wartezeit den Zuschlag erteilte.

Eine Menge gab es zu tun damals, die Räume des Rundpavillons waren reichlich heruntergewirtschaftet, die Küche mußte total überholt werden, Toiletten ganz neu eingebaut, und an den Ausbau des Wintergartens war zunächst nicht zu denken.

Ein halbes Jahr bauten die neuen Pächter bis sie am 15. April 1984 zum ersten Mal die Pforten öffneten für das Literaturcafe „Ambiente“ und trotz der wirtschaftlich desolaten Lage des Cafes - aufwendige Renovierung, fehlende Kenntnisse in der Gastronomie, die üblichen Anfängerschwierigkeiten eben - gingen die vier, was die Veranstaltungen betrifft, gleich in die Vollen. Allein im ersten Jahr gab es im Ambiente über 70 Literaturveranstaltungen, Lesungen, szenische Vermittlungen, Verbindungen mit Musik. Und nebenher begannen sie damit, den Wintergarten winterfest zu machen.

Heute, am fünften Geburtstag, ist das „Ambiente“ etabliert, es

steht wirtschaftlich auf soliden Füßen und über mangelnden Besuch läßt sich auch nicht klagen. Ein gemischtes Publikum macht sich hier breit von der Kaffeeoma über die netten Adretten bis zu den sporadischen Punks und selbst Otto Rehhagel läßt sich hier die Kamera vor sein Gesicht halten. Mit einem rauschenden Wochenende feiern sich die Jubilare. Von Samstag nachmittag bis Sonntag abend wird es ein Programm geben mit leisen Live-Musik-Vorführungen und Literatur-Lesungen, wobei als Höhepunkt am Sonntagabend mit H.C.Artmann ein Dichter erwartet wird, der seit den sechziger Jahren als eine der Zentralfiguren der „Wiener Gruppe“ für skurrile Präsentation skurriler Texte sorgte. Ein vital polternder Dichter mit einem hohen Maß an sprachlicher Sensibilität und Intelligenz, dessen Spieltrieb bisher immer wieder für unerwartete Wendungen sorgte.

Auf seine Geburtstagsgrüße warte ich mit Spannung, hoffend daß er die richtigen Worte findet, denen ich mich dann anschließen werde. ste

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