: Nichts Fremdes ist ihm menschlich
■ „Was tun gegen AIDS?“ von Peter Gauweiler / Kampfansage an das „zwanghaft-süchtige Sexualverhalten“ / „Virophobie eines notorischen Besserwissers“ - eine Rezension von Oswald Kolle
Nach einem ausgedehnten Interview mit dem bayerischen Staatssekretär Peter Gauweiler über seine Aidsstrategie fragte sich ein holländischer Journalist in der linken Wochenzeitung 'Vrij Nederland‘: „Marschieren die Stiefel wieder - dieses Mal in Richtung Schlafzimmer?“
Anlaß zu dieser Frage war das Gauweilersche Trommelfeuer von markigen Formulierungen: Seuchenherde ausmerzen. Ansteckungsverdächtige erfassen. Ansteckungswege abschneiden. Die Antwort auf seine Frage wird der Kollege zweifellos in dem jüngst erschienenen Buch von Peter Gauweiler finden: Was tun gegen AIDS? Herausgegeben ist dieses Buch im Verlag R.S. Schulz, in dem auch die SS -Memoiren von Franz Schönhuber erschienen sind. Der Titel ist irreführend, besonders das Fragezeichen dahinter; denn Peter Gauweiler weiß genau, was man gegen Aids tun muß. Passender wäre etwa der Titel: „Mein Kampf gegen Aids“.
Seitenlange Selbstbeweihräucherung
Im Sommer 1988 habe ich bei einer öffentlichen Veranstaltung der Gesellschaft für sozialwissenschaftliche Sexualforschung in Düsseldorf eine hochrangig besetzte zehnköpfige Gesprächsrunde über Aidspolitik moderiert. Ich erwähnte dabei, daß die Aidspolitik der Bundesrepublik im Ausland leider nicht nach der Süssmuth-Linie, sondern meist nach der Gauweiler-Linie beurteilt würde. Die Reaktion dieser Politiker, Mediziner, Ministerialbeamten und Mitglieder der Aids-Enquete-Kommission war verständlicherweise ablehnend, aber auch unterschätzend, als handele es sich beim Gauweilerismus um eine etwas bizarre Variante bayerischer Politik, mit der man nun mal leben müsse, die aber nicht ernst zu nehmen sei: Doch wer bisher noch der Meinung sein durfte, manche der Gauweileräußerungen seien in der Hitze des politischen Gefechts getan oder von Journalisten grob verfälscht worden oder aus dem Zusammenhang gerissen oder unglückliche Formulierungen - spätestens mit dem Erscheinen dieses Buches sollte er überzeugt sein: Der Mann meint das alles so wörtlich, wie er es schreibt und sagt. Und da der bayerische Ministerpräsident Max Streibl in seinem Geleitwort den Aids Ritter Gauweiler für seinen „Kampf“ rühmt und verspricht, diese Linie im „Kampf“ fortzusetzen, wollen wir den Peter Gauweiler so ernst nehmen, wie er sich selbst nimmt.
Das ganze Buch wird von einem penetranten Motto durchzogen, das etwa lauten könnte: „Gott weiß alles, Peter Gauweiler weiß alles besser.“ Wie der legendäre Rekrut, der seinem Hauptmann meldet: „Die ganze Kompanie hat falschen Tritt, nur ich nicht“, so meldet Gauweiler der erstaunten Öffentlichkeit: Alle haben versagt, verschwiegen, verharmlost - nur ich nicht, ich allein wußte Bescheid und habe gehandelt. Es ist nicht nur ermüdend, diese seitenlange Selbstbeweihräucherung eines notorischen Besserwissers zu lesen, es macht auch zornig: Außer einer kleinen handverlesenen Schar von Gauweiler-Adepten werden praktisch alle Wissenschaftler und Gesundheitspolitiker beschuldigt, sie hätten leichtfertig und wider besseres Wissen die Gefahren von Aids heruntergespielt. Wer gegen Panik und Angst für Aufklärung und nüchterne Analyse plädiert, der ist in den Augen von Gauweiler beinahe schon ein Verbreiter der Viren - und selbst der Weltgesundheitsorganisation WHO wirft er „komplizenhaftes Schweigen“ vor, als handele es sich bei dieser Organisation um eine Aidsterrortruppe.
Um seine Thesen zu unterstützen, greift Gauweiler wahllos in den Zitatentopf. Meldet etwa das Bundesgesundheitsministerium seiner Intimfeindin Rita Süssmuth: „Nach heutigem Wissen wird Aids auf folgenden Wegen nicht übertragen: ...beim Sport“, dann setzt Gauweiler triumphierend darauf, daß der Präsident des Deutschen Sportärztebundes gesagt hat: „Für verschiedene Sportarten sind erhebliche Einschränkungen geboten. Zwar ist eine Ansteckung beim Sport immer noch sehr unwahrscheinlich. Doch wir dürfen nicht tatenlos warten, bis der erste Fall eingetreten ist.“
Dieses Unwahrscheinliche, Theoretische hat es Gauweiler angetan - obwohl alle ernstzunehmenden Wissenschaftler der Welt gerade davor warnen, mit den Unwahrscheinlichkeiten herumzuspielen, und statt dessen sich auf die Warnung vor dem Wahrscheinlichen (Blut, Sperma) zu konzentrieren. Gauweiler ist kein Trick zu schmutzig, um seine eigene Virophobie zu legitimieren. So zitiert er genüßlich ein Zwiegespräch aus der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages zwischen einer Grünen-Abgeordneten und dem Münchner Pathologen Professor Eder: Abgeordnete Frau Wilms -Kegel: „Die praktische Frage, die sich stellt, lautet: Kann ich mich infizieren, wenn mich jemand anhustet?“
Professor Dr.Eder: „Theoretisch ja. Man kann nur feststellen: In den Alveolarmakrophagen ist es enthalten. Es muß natürlich kräftig gehustet werden.“ Und die böse Bonner Rita hat natürlich ministeriell das Husten für ungefährlich erklärt.
Wie kräftig müssen wir dem Gauweiler eigentlich eins husten, damit er endlich einsieht, daß man so leichtfertig weder mit wissenschaftlichen Erkenntnissen noch mit der gesamten Gesellschaft umgehen darf? Denn Gauweiler und Konsorten haben ja mit ihrer Panikmache eine Erscheinung hervorgerufen, die der Gießener Professor Horst-Eberhard Richter so beschreibt: „Dem pathologischen Phänomen Aids steht das pathologische Phänomen massenhaft hysterisch -phobischer Reaktionen des Publikums gegenüber“, mit dem kontroproduktiven „Erfolg“, daß sich zum Beispiel Jugendliche in unserer Gesellschaft auch ernsthaftem Aufklärungsbemühen verschließen, weil sie dem moralisierenden Anti-Sexualismus dieser Leute mißtrauen.
Aber je weiter man in diesem Gauweilerschen Zitatensalat eintaucht, je mehr man seine abstrusen Hochrechnungen von „Durchseuchung der Gesamtbevölkerung“ wahrnimmt, desto drängender stellt sich dem Leser die Frage: Will Gauweiler wirklich Aids bekämpfen, oder will er eine Gesellschaft bekämpfen, deren sexuelle Sitten und Gebräuche ihm nicht passen? Will er mit der Waffe Aids in der Hand nachträglich einen Krieg gewinnen, den er und seine Gesinnungsgenossen in den sechziger Jahren der sexuellen Befreiung verloren haben?
Um zu beweisen, daß die sexuelle Freiheit und Mündigkeit des Einzelnen der eigentliche „Motor der Seuche“ (Promiskuität) ist, scheut Gauweiler tatsächlich kein Mittel: alberne Zusammenhänge, falsche Statistiken, aus dem Kontext gerissene Zitate usw. Aus dem spätpubertär-witzigen Studenten-Slogan: „Wer zweimal mit derselben pennt, gehört schon zum Establishment“, macht Gauweiler eine Sexualphilosophie der Hetero-Mehrheit, die sich des „zwanghaft-süchtigen Sexualverhaltens“ schuldig macht. Wir wissen aus den Studenten-Untersuchungen jener Jahre, daß die meisten Studenten auch damals froh waren, wenn sie wenigstens eine abgekriegt haben. Und heute? Ich zitiere dazu den Hamburger Sexualforscher Professor Gunther Schmidt: „Die Anzahl der Männer und Frauen, die innerhalb eines Jahres fünf oder mehr heterosexuelle Partner hatten (und wer das promisk nennen will, soll das tun), hat im letzten Jahrzehnt in einer Gruppe, die nach Alter, Sozialschicht oder Familienstand definierbar ist, mehr als fünf Prozent betragen.“
Gauweiler erfindet also ein Pandämonium sexueller Zügellosigkeit, nicht nur bei Homosexuellen, sondern bei allen, um dann gnadenlos zuzuschlagen und seinen „staatsautoritären Umgang mit Aids“ (Günther Amendt) zu begründen. Die Homosexuellen als Hauptrisikogruppe kriegen es natürlich bei ihm ganz dicke. Seine endlose Phantasie führt ihn in die Darkrooms der Schwulen-Saunen, und man hört es förmlich in den Buchseiten knistern, wie er sich vor Ekel schüttelt. Das sei ihm unbenommen - ich ekele mich bei diesem Buch.
Nicht unbenommen sei ihm, daß er als auf die Verfassung der Bundesrepublik eingeschworener Beamter gefälligst nicht zu diskriminieren hat. Das tut der Mann, der dem 'Stern‘ auf die Frage, ob er Aidsinfizierte eigentlich als Aussätzige behandeln wolle, antwortet: „Das sind halt Aussätzige.“ Das tut er, wenn er mehr oder weniger alle Homosexuellen und auch die Bisexuellen als eine Art einsichtslose, verantwortungsscheue Sexualverbrecher abschildert, die wahllos und ohne Rücksicht auf die Volksgesundheit die Viren herumschleudern, um ihre Lust zu stillen. Obwohl auch Gauweiler wissen muß, daß die Aufklärung gerade bei der Gruppe der Homosexuellen mit großem Erfolg zu einem anderen Sexualverhalten geführt hat. Ich erwähne nur, daß bei einer Gruppe von 800 Amsterdamer Homosexuellen zu Beginn der Untersuchung acht Prozent Neuansteckungen vorkamen, im zweiten Jahr nur noch ein Prozent, im dritten Jahr, 1988, null Prozent; ähnliche Zahlen liegen aus der Bundesrepublik vor.
„Seuchenbekämpfung“ mit Polizeistaat-Methoden
Gauweiler erwähnt in seinem Buch viele Länder und deren staatliche Maßnahmen, so weit ich sehe aber nicht ein einziges Mal die Niederlande, die von Beginn an gegen Diskriminierung und gegen staatliche Zwangsmaßnahmen plädiert haben. Was ihm nicht in seinen Kram paßt, wird eben verschwiegen.
Gauweiler führt seine Maßnahmen, die „harte bayerische Linie“, gegen Homosexuelle, Prostituierte („das Handwerk legen“), Bisexuelle und Rauschgiftsüchtige. Denen will er zwar keine kostenlosen Nadeln geben, weil das der Sucht „Vorschub leistet“, obwohl das in vielen Ländern mit großem Erfolg praktiziert wird - aber all diese Gruppen will er zwangstesten, katalogisieren, einstufen, notfalls internieren, ihnen Berufsverbote auferlegen - kurz: das ganze grauenvolle Instrumentarium staatlicher Zwangsmaßnahmen anwenden.
Im Vorwort zu dem Buch, geschrieben von 'Spiegel'-Redakteur Hans Halter und Fernseh-Korrespondent Dagobert Lindlau (es gibt schon sonderbare Koalitionen), wenden sich die Autoren gegen die Verfälschung der Gauweilerschen „Quarantäne“ in „Konzentrationslagern“. Aber eine Quarantäne für Ansteckungsverdächtige (Südspanier, Sizilianer, Afrikaner, Hessen, Berliner und andere Ausländer, kurz: Fremde) kann doch nur zeitlich sein. Im Falle von Aids, da unheilbar, müßte es ein lebenslanges Konzentrationslager bis zum Jüngsten Tag sein.
Die beiden Autoren beklagen in ihrer Einleitung: „Der Kampf gegen die Krankheit wird durch die falsche Betonung ideologischer Werte unzulässig erschwert.“ Richtig - nur vergessen die Herren, daß nicht die böse Linke mit ihrer angeblichen „irrationalen Selbstverwirklichung auf Kosten anderer“ begonnen hat, sondern die politische Rechte mit ihrer „Strafe Gottes„-Ideologie und ihrem Wunderglauben an die Wirkung von härteren Strafgesetzen und Freiheitsbeschneidung der anderen Seite diesen Kampf aufgezwungen hat. Oder haben sie das Buch nicht gelesen, das sie hier anpreisen?
Konsequent durchgeführt, würden die Gauweilerschen „Seuchenbekämpfungsmaßnahmen“ zu einer Polizeistaatsgesellschaft führen, die mit unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung aber auch nichts mehr gemein hätte. Es ist doch kein Zufall, daß Gauweiler einmal das Wort „Bürgerrechte“ in Anführungszeichen setzt, als wäre es ein schmutziges Wort. Mit all seinen Zwangsmaßnahmen wie verpflichtete Durchtestung der gesamten Bevölkerung (alle vier Wochen? - Ja, notfalls), der Jagd auf Prostituierte, die ohne Kondom arbeiten, der Schließung von Homosexuellen-Saunen und auch der Internierung von Sero -Positiven und Einstellungsuntersuchungen für Anwärter des öffentlichen Dienstes wird Gauweiler nur erreichen: Homosexuelle müssen wieder heimlich werden und sind erpreßbar, Rauschgiftsüchtige tauchen noch mehr als jetzt schon ab, anstatt Beratung und Hilfe zu suchen, Prostituierte werden überhaupt nicht mehr kontrollierbar sein und sich den heutigen Routineuntersuchungen verweigern.
Das Ganze wäre also nur Augenwischerei und würde der breiten Bevölkerung gerade dieses falsche Sicherheitsgefühl geben, das wir doch unter allen Umständen vermeiden müssen. Es ist eine fatale Unterstellung: als ginge es um hie die guten Aidsbekämpfer und da die bösen „Bürgerrechtler“. Es geht vielmehr um eine sinnvolle Aidsbekämpfung unter Erhaltung der verfassungsgemäßen Bürgerrechte.
Gauweiler will in der „bürgerlichen Dekadenzphase“, wie er es nennt, die Polizei wieder in die Schlafzimmer schicken. Ihm ist alles und jeder verdächtig, der gegen seine sexuellen Normen verstößt. Deshalb möchte er, daß am bayerischen Wesen die Aidswelt genesen soll. Nichts Fremdes ist ihm menschlich. Deshalb kann er so unglaubliche Sätze im 'Spiegel'-Interview sagen wie diesen: „Wir müssen diese Gruppen zum Auftauchen bringen und diese besonders schlimmen Ansteckungswege sichtbar machen. Wen ich da ermittele und aus dem Verkehr ziehe, der steckt keinen mehr an.“ Wo habe ich solche Worte bloß früher schon gehört?
Peter Gauweiler, Was tun gegen AIDS? Verlag R.S. Schulz. 280 S., broschiert, 23 DM
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