Spektakuläre Anti-Mafia-Koalition für Volkshelden

Gestern wurde in der sizilianischen Stadt Palermo eine christdemokratisch-kommunistische Koalition gewählt / Der Anti-Mafia-Bürgermeister Orlando benötigt Kommunisten und Grüne als Garant des Kampfes gegen den Clan  ■  Aus Palermo Werner Raith

In Palermo ist gestern erstmals in der Geschichte Italiens eine christdemokratisch-kommunistische Koalition gewählt worden, die der Mafia zu Leibe rücken soll. Der Grund für diese ungewöhnliche Zusammenarbeit liegt in den Schwierigkeiten des berühmten Bürgermeisters der Stadt, Leoluca Orlando, seine antimafiose Politik im Stadtparlament durchzusetzen. Selbst unter den sanften Anti-Mafia-Kämpfern der Stadt ist die Sprache der Zeit etwas martialisch: von einer Brigade Orlando ist die Rede, biedere Stadtteilpfarrer und Mitglieder von Bürgerinitiativen sehen sich als „Hauptleute“ oder „Oberste“, Witwen von Mafia-Opfern bezeichnen sich als „Fanalträgerinnen der Freiheit“, manche gar als Amazonen - und dies keineswegs als despektierliches Etikett.

So wie in diesen Tagen haben sich Palermos „ehrliche Menschen“ (gli onesti) noch nie um ihren ersten antimafiosen Bürgermeister Leoluca Orlando geschart, umgeben ihn zu mittlerweile Hunderten wie ein Schutzwall. Es geht gegen jene anderen, die sich ebenfalls mit „ehrenden“ Vokabeln schmücken - die Mafia, in Eigenbezeichnung „onorata societa“, was bei uns meist falsch als „ehrenwerte Gesellschaft“ übersetzt wird, tatsächlich heißt es „geehrte Gesellschaft“, und das trifft den Kern der Sache genauer: man ehrt sie, weil man sie fürchtet.

Die „Ehrlichen“ also gegen die „Geehrten“. Noch vor fünf Jahren hätte es niemand für möglich gehalten, daß es einmal zu einer solchen Herausforderung kommen wird: Vor dem Rathaus, dem früheren Symbol der Mafia-Herrschaft, drängen sich nun die einfachen Bürger, Händler und Hausfrauen, Schüler und Lehrer, Taxichauffeure und Fischer, um den „Brunnen der Schande“ (den hat der Volksmund einst wegen seiner nackten Figuren so getauft, inzwischen dient der Name als Anspielung auf die mafiosen Stadtoberhäupter) und rufen: „Leoluca, Leoluca!“ Der 40jährige Christdemokrat, der seit knapp zwei Jahren einer Koalition mit Sozialdemokraten, Linksunabhängigen, freien Wählergemeinschaften und Grünen vorsteht, ist zum Volkshelden geworden - dem einzigen, den Italien derzeit vorzeigen kann. Er hat sich mit seiner Verfügung, alle in mafiose Gerichtsverfahren verwickelten Unternehmer von öffentlichen Aufträgen auszuschließen, mehr aber noch durch die Entmachtung der alten mafianahen Garde der Politiker so viel Sympathien erworben wie niemand sonst nach Aldo Moro, seinem 1978 von den Roten Brigaden ermordeten politischen Ziehvater.

Dabei hat Orlando nicht nur die Clan-Zuarbeiter der eigenen Partei kaltgestellt, sondern auch die beiden anderen mittlerweile mit den „Geehrten“ mauschelnden - Parteien Siziliens, Sozialisten und Republikaner, aus der Stadtregierung hinausgedrängt. Seither regiert er mehr mit den Bewegungen von der Straße als mit den politischen Gruppierungen. Das Rathaus wurde für eine „Bürgerinitiative zur Transparenz der städtischen Politik“ geöffnet - die Vertreter der „Siciliarnosc“ (Eigenbezeichnung nach der polnischen Solidarnosc) residieren gleich am Rathauseingang und haben Zugriff zu jedem Dokument der Stadtverwaltung. Wichtigste RatgeberInnen sind dem Bürgermeister die „Sizilianische Frauenvereinigung gegen die Mafia“, die Leiter des politischen Bildungszentrums des Jesuiten in Palermo sowie der „Koordinationsrat gegen die Mafia“.

Die Anti-Mafia-Politik hat Orlando viel Bewunderung eingebracht, doch auch viel Feindschaft. Sein Parteikollege Salvo Lima, enger Freund von Italiens Außenminister Andreotti und einst selbst Bürgermeister während der im wesentlichen von mafiosen Firmen durchgeführten Zerstörung der Stadt durch Bauspekulation, lenkt als Europaabgeordneter die Bataillone der Orlando-Gegner; sie haben ihrem Bürgermeister in der letzten Zeit kräftige Abstimmungsniederlagen bereitet und mitunter bei den „Ehrlichen“ eine Art Endzeitstimmung ausgelöst.

Damit das nicht so weitergeht, hat Orlando einen spektakulären Schritt getan und nahm die kommunistische Partei als Koalitionspartner auf. Am Freitag also hat die offizielle Wahl der neuen Stadtexekutive stattgefunden. In Rom droht nun darob sogar eine Regierungskrise: Bettino Craxi, Chef der ausgeschlossenen PSI, fordert kategorisch den Kopf Orlandos: Der einzige Christdemokrat, der bisher eine Erneuerungsfähigkeit der DC dokumentiert, soll unbedingt weg; außerdem wollen die Sozialisten an die demnächst anrollenden gut zehn Milliarden Mark Sanierungshilfe für Palermo heran. Doch gerade indem sich Orlando immer vergnügter als Unperson der Sozialisten präsentiert, hat er sogar seinen Parteichef Arnaldo Forlani

-einen geschworenen Gegner des PCI-Eintritts - an seine Seite gezwungen.

Der Eintritt der Kommunisten in die Koalition dient freilich nur der numerischen Verstärkung und der Ausschaltung der „Heckenschützen“ innerhalb der DC: Inhaltlich wird sich Orlando weiterhin auf seine populistische Anti-Mafia-Haltung stützen und auf die einzige Frau in seiner Exekutive, Letizia Battaglia von den Grünen. „Der bisherige Erfolg unserer Politik“, gibt der Bürgermeister bereitwillig zu, „besteht zu zwei Dritteln aus dem Namen Letizia.“ Die international berühmte Fotografin, Mutter eines drei Jahre lang drogenabhängigen Mädchens, hat den Palermitanern gezeigt, daß man die Mafia nicht nur im Gerichtssaal oder mit der Polizei bekämpfen kann, sondern auch mit Blumen. Als Dezernentin für die „städtischen Gärten und die Lebensqualität der Stadt“ hat sie begonnen, den Schmutz, den Müll, die verrotteten Innenhöfe - oft die Winkel der Drogenhändler - sauberzuräumen und Bäume, Blumen, Spielgärten hinzusetzen. „Mit einem Erfolg, an den auch ich nicht geglaubt habe“, sagt Leoluca Orlando. „Statt, wie wir erwartet haben, die Pflanzen in der Sonne verkommen zu lassen, gießen die Leute sie dreimal am Tag, an den Spielplätzen ist noch kein einziges Stück kaputtgegangen, an den Steinbänken kein einziges Graffito erschienen.“

Die Palermitaner, die „ehrlichen“, haben der Endzeitstimmung der letzten Wochen denn auch inzwischen einen anderen, hoffnungsvolleren Namen entgegengesetzt: palermitanischer Frühling.