: „...Von diesen Dingen hab‘ ich keine Ahnung“
Die Grünen im Frankfurter Römer verwählen sich: Sie bleiben ohne Stellvertrerinnenposten im Präsidium / Doch sie sind „lernfähig“ ■ Von Klaus-Peter Klingelschmitt
Frankfurt (taz) - Die zehn KommunalparlamentarierInnen der Grünen im Frankfurter Römer widerlegten am Donnerstag bei der konstituierenden Sitzung der Stadtverordnetenversammlung eindrucksvoll die These von der „schleichenden Professionalisierung“ grüner MandatsträgerInnen: In dilettantischer Weise vermasselten sie die Chance, eine Stellvertreterin der zuvor einstimmig gewählten Parlamentspräsidentin Ute Hochgrebe (SPD) zu stellen. Anstatt nur den eigenen Wahlvorschlag auf den Stimmzetteln anzukreuzen, stimmten die Grünen auch für die Listen von SPD und CDU. Damit waren die Stimmzettel der Grünen ungültig und SPD und CDU konnten die drei Stellvertretersitze unter sich aufteilen. Die Fraktion der Grünen, die Brigitte Sellach nominiert hatte, ging leer aus.
Fast wäre die NPD wegen der Eselei der Grünen zu einem Sitz im Präsidium gekommen, denn auch fünf Sozialdemokraten und ein CDU-Abgeordneter hatten den Wahlmodus nicht begriffen. Kommentar des Radikalökologen Manfred Zieran, Frankfurter Ratsmitglied von 1981 bis 1985, zum Fauxpas der Realos: „Uns wäre das nicht passiert.“
Die Schuld an dem Wahldesaster der Grünen, das homerisches Gelächter im Plenum und auf den Rängen provozierte, trug der Fraktionsgeschäftsführer der Grünen, Lutz Sikorski. Er hatte seine Fraktion zur Wahl aller eingereichten Listenvorschläge (mit Ausnahme des NPD-Vorschlags) aufgefordert. Daniel Cohn -Bendit erläutert sein Abstimmungsverhalten: „Ich hab‘ gemacht, was der Lutz gesagt hat, denn von diesen Dingen hab‘ ich keine Ahnung.“ Als Cohn-Bendit dann nach stundenlangen Wahlgängen zur Benennung von BeisitzerInnen und SchriftführerInnen für das Präsidium und zur Kandidatenkür für Posten im Umlandverband und in der regionalen Planungsversammlung schließlich als ehrenamtlicher Dezernent selbst zur Wahl anstand, rissen sich die Grünen am Riemen: Mit allen Stimmen der Fraktion wurde der 'Pflasterstrand'-Herausgeber zum ehrenamtlichen Dezernenten für multikulturelle Fragen gewählt. Mit dem Alt -68er Cohn-Bendit, der vor inzwischen 21 Jahren zum „langen Marsch durch die Institutionen“ aufbrach, kam in Hessen nach Joschka Fischer - jetzt schon der zweite „Rebell“ auf der Regierungsebene an. Cohn-Bendit: „Es gibt kein zurück mehr.“
Die siebenköpfige NPD-Fraktion sorgte noch vor Parlamentseröffnung für einen Eklat: Ihre Mitglieder hatten schon eine halbe Stunde vor Beginn der konstituierenden Sitzung hart am rechten Rand des Plenarsaals Platz genommen
-auf den von Altoberbürgermeister Brück für die CDU reservierten Stühlen. Erst nach einem Parlamentsbeschluß räumten die NPD-VertreterInnen die Plätze. Zuvor war es zu einer Rangelei im Foyer des Stadtparlaments gekommen, als zwei junge Frauen, bei denen rohe Eier gefunden worden waren, von Sicherheitsbeamten festgenommen wurden. Ein Ei war zuvor im Gesicht eines NPD-Abgeordneten zerplatzt. Ein Mann, der die Festnahme verhindern wollte, wurde von der Polizei gleichfalls abgeführt.
Proteste gegen NPD
vor dem Römer
Vor dem Römer hatten sich etwa 700 Menschen eingefunden, um gegen die NPD zu protestieren. Die Hoffnung, die neuen Mandatsträger aus der Nähe zu sehen, erfüllte sich nicht. Die Stadtverordneten betraten das Rathaus durch einen Seitengang. Rund um den Römerberg waren Polizisten postiert und kontrollierten jeden, der an der Protestkundgebung teilnehmen wollte. Vier Männer, bei denen nach Polizeiangaben Spraydosen gefunden wurden, wurden für die Dauer der Veranstaltung festgenommen. Der Grünen -Stadtverordnete Micha Brumlik warnte in seiner Rede vor „Bürgerkriegsstimmung“ bei den Linken. Die Bundesrepublik Deutschland sei nicht die Weimarer Republik, Gewalt und Verbote seien ein untaugliches Mittel gegen die NPD. Andere Redner wie die Gewerkschaftssekretärin Dora Riss forderten ein Verbot der Naziparteien. Die Schwulenbewegung, die mit einem riesigen rosa Plakat „Schwule Vielfalt statt brauner Einfalt“ an der Kundgebung teilnahm, kam auf der Veranstaltung nicht zu Wort. Die Rednerliste sei ohnehin schon zu lang, befand die veranstaltende VVN. Nach der Kundgebung zogen rund hundert Teilnehmer noch zum Mahnmal der Opfer des Faschismus an der Paulskirche. Dort legte Peter Gingold von der VVN einen Kranz nieder.
m.c.
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