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Humangenetik: „Wollen wir alles?“

■ Plädoyers für öffentliche Debatten und für „Mut zum Mutmachen“, Behinderungen anzunehmen / Abgetriebene Föten beerdigen und richtig Abschied nehmen

Lichtblicke gab es durchaus - der Düsseldorfer Humangenetiker Majewski allerdings gehörte nicht zu ihnen. Auf der Fortbildungs-Veranstaltung „Humangenetik“, am Samstag veranstaltet von der Bremer Ärztekammer, waren durchaus nicht nur ForschungstechnokratInnen geladen und mit Dias und Projektionsfolien vor die eher spärlich besetzten Teilnehmer-Reihen in den Vortragsraum der Kunsthalle gekommen.

Daß Majewski mit seinen Forschungsergebnissen zur vererbbaren oder erworbenen Gefährlichkeit von radioaktiven Strahlen, Genußgiften (Alkohol, Kokain) und Medikamenten (gegen Epilepsie) nichts sachlich Falsches vortrug, sei unterstellt. Wie aber der Genetik-Mann mit alkoholkranken, schwangeren und hilfesuchenden Patientinnen umzugehen scheint, davon gab er selbst Kostproben: Nach ihren Spanien -Urlauben kämen die nämlich mit Abtreibungs

Wunsch schwanger - „meist nicht vom Ehemann“ - an und „erzählten ihre stories, wieviel Sangria sie da getrunken hätten“ - darauf aber fällt ein Majewski nicht rein. „Natürlich versteckt, ohne daß sie was merken“, fragte er die Krankheitsphase der Alkoholikerin heraus - und siehe da: Ist sie nicht bereits im letzten, chronischen Stadium, ist „ein Abbruch überhaupt nicht indiziert“! Systematische Forschungen seien ja „aus ethischen Gründen nicht durchführbar - ich hab es immer wieder versucht, aber ich kam an die alkoholkranken Frauen nicht ran!“

Die Dänin Friedrichs aus Aarhus berichtete über die vergleichsweise offensive Art, in der in ihrem Land die Risiken der Humangenetik öffentlich diskutiert werden. Die „sehr negative Presse“ sei ein Glück und eine Herausforderung, immer wieder mit Nicht-Fachleuten zu debattieren und die eigene Grundhaltung zu prüfen: „Wie weit wollen wir

gehen? Wollen wir alle Krankheiten diagnostizieren können, in allen Fällen Abbrüche ermöglichen? Wir müssen verhindern, daß uns die Genetik von hinten überfällt!“ DänInnen mit fehlerhaften Geschlechts-Chromosomen, ehemals nicht abgetrieben und inzwischen junge Erwachsene, hätten sich zu Gruppen zusammengeschlossen, Kontakt zu Medien gefunden und informiert: „Wir sind kleiner und unfruchtbar, aber normal begabt - also kein Grund, uns zu abortieren!“

Nicht aus der Sicht der sezierenden Technokratin, sondern mit Blick auf die Eltern und die behinderten Kinder forderte die Münchener Forscherin Stengel-Rutkowski auf, auch bei schwer mißgebildeten Kindern mit wenig Lebenserwartung Mut zum Mut zu machen, „das Kind anzunehmen, in die Hände zu nehmen und beim Sterben zu begleiten“. Mut aber auch, trotz bestimmter oft drastischer Fehlbildungen das Kind anzunehmen, das sich bei

vielen Krankheiten „oft ganz normal entwickelt, mit der Störung erwachsen wird und durch sein Verhalten das merkwürdige Aussehen ausgleichen kann“. Weil man einen Verlust, dem man ins Auge schaut, eher aushalten könne, plädierte sie für den „irren Aspekt, Kinder, die man tötet, auch zu begraben“ - und meinte damit auch die bis zum Ende des sechsten Schwangerschaftsmonats abgetriebenen Föten: „Der Arzt macht es und guckt weg dabei!“ Daß diese getöteten Föten zusammen mit Leichenteilen vernichtet würden, sei „unerträglich“.

Ein Teilnehmer aus dem Publikum informierte darüber, daß in der Bremer St.-Jürgen-Klinik die abgetriebenen Föten immerhin eine Zeitlang aufbewahrt werden, bis sich die Mutter darüber klar geworden ist, ob sie das ansehen und damit auch Abschied nehmen - und so auch „die Monster aus ihrer Phantasie vertreiben“ möchte.

Susanne Paas

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