Rathaus-Besetzung gegen Isolationshaft

■ 1.200 BremerInnen demonstrierten am Samstag für die Zusammenlegung der hungerstreikenden Gefangenen / Innensenator stellte Ultimatum, Grüner vermittelte / Nachdenkliche Ansprachen

„Tschüß Peter, ich will zum Fußball.“ Per Handschlag und nicht ohne einen Anflug staatsmännischen Stolzes verabschiedete sich am Samstag nachmittag der grüne Bürgerschaftsabgeordnete Martin Thomas von Innensenator Peter Sakuth, SPD. Thomas verbuchte offenbar vor allem auf sein politisches Privat-Konto, daß ein Versuch, das Bremer Rathaus zu besetzen, nach knapp zwei Stunden rechtzeitig zum Spielbeginn Werder-Stuttgart und ohne spektakuläre Räumungsaktion der Polizei zu Ende gegangen war.

Gegen 14 Uhr waren rund 25 DemonstrantInnen in die Untere Rathaushalle gelangt, wo terres des hommes gerade einen öffentlichen Solidaritätsbasar für El Salvador durchführte (s.u.), hatten ein schmiedeeisernes Gitter überstiegen und waren über eine kleine Wendeltreppe in den oberen Rathaus -Festsaal eingedrungen. Gleichzeitig verteilte Flugblätter verrieten den Zweck der Aktion: Erstens Druck auf Bremens Partei- und Rathaus-Politiker, sich für die Zusammenlegung der seit über zwei Monaten hungerstreikenden Gefangenen einzusetzen. Zweitens wollten die BesetzerInnen das Rathaus für die weitere Dauer des Hungerstreiks zu einer Art Informations-und Diskussionszentrum über die Haftbedingungen in bundesdeutschen Hochsicherheitstrakten und die Forderungen der Gefangenen umfunktionieren. „Wir hatten die Hoffnung, daß der Senat die Besetzung als gegebene Tatsache tolerieren würde,“ er

klärte eine der BesetzerInnen nach dem vorzeitigen Ende der Aktion.

Daß es dazu nicht kam, lag vor allem am sofortigen Einschreiten

der offenbar vorbereiteten Polizei. Unmittelbar nachdem die ersten BesetzerInnen in den Rathaus-Festsaal gestiegen waren, riegelte eine Hundertschaft die

Eingänge ab - selbst PressevertreterInnen wurde entschieden der Zutritt verwehrt -, drängten nachrückende BesetzerInnen aus der unteren Halle und stürmten schließlich in den besetzten Saal. Während die BesetzerInnen noch forderten, mit einem verantwortlichen Senator diskutieren zu können, wurden vier von ihnen überwältigt, mit Handschellen gefesselt und zu Boden geworfen. Grüne Deeskalation:

dankbarer Senator Sakuth

Erst als mit Thomas einer der wenigen grünen und prominenten Teilnehmer der vorausgegangenen Hungerstreik -Solidaritätsdemonstration eintraf, entspannte sich die Situation ein wenig. Gegen 14:45 Uhr traf auch Innensenator Peter Sakuth, von Thomas telefonisch vom eigentlich geplanten Gartenumgraben abgehalten, ein. Er stellte die BesetzerInnen vor folgende Alternative: Entweder sie verließen freiwillig und nach polizeilicher Aufnahme ihrer Personalien das Rathaus oder aber alle würden zur erkennungsdienstlichen Behandlung in die umliegenden Polizeiwachen abtransportiert. Während MdBB Thomas per Megaphon für Informationsaustausch zwischen BesetzerInnen drinnen und Wartenden draußen sorgte, fiel die Entscheidung: Unter Sprechchören „Iso-Haft ist Folter, Iso-Haft ist Mord, Zusammenlegung jetzt sofort“ verließ gegen 15:45 Uhr Innensenator Sakuth das Bremer Rathaus, gefolgt von den BesetzerInnen.

Am Dienstag soll der Senat entscheiden, ob Strafantrag wegen Hausfriedensbruchs gestellt wird. Unabhängig davon ermittelt Staatsanwalt Hans-Georg von Bock und Polach, selbst Augenzeuge der Aktion, gegen die BesetzerInnen wegen Widerstands

gegen die Staatsgewalt Poetische Demonstrations-Rede

Die vorhergehende Demonstration konnte sich auf ein breites Aktionsbündnis stützen, das vom Asta der Uni über die DKP, die Initiative Bremer Strafverteidiger bis zu den Grünen reichte. Auch eine einsame Juso-Fahne wehte neben einem Che -Guevara-Bild, und ein Autonomer trug die Nationalfahne: Er hatte den gelben Streifen abgeschnitten und ihr so einen neuen schwarz-roten Sinn gegeben.

Es waren etwa 1.200 Menschen, die dem Aufruf unter der Forderung: „Für eine Zusammenlegung jetzt!“ gefolgt waren. Sie hörten eine Rede, geschrieben von Christian Geissler, deren poetische Sätze zur Forderung ungewöhnlich waren. Sie sprachen von dem „Mut, einander in Fehlern zu achten“, beschrieben die Großgruppe als „Möglichkeit, einander zu hören und miteinander klüger zu werden“. Auch die Rede von Helga Prauß, deren Sohn Rico in Stuttgart-Stammheim einsitzt, war alles andere als eine Verlautbarung. Sie sprach von ihren Gefühlen, als sie entsetzt feststellen mußte, daß ihr Sohn auf Grund von vagen Indizien-Ketten zu einer neunjährigen Haftstrafe verurteilt wurde, und ihr war die Wut anzuhören, als sie von einem Bundestagsabgeordneten erzählte, der ihr gesagt hatte, sie solle sich über die Enge der Zelle ihres Sohnes nicht aufregen. Schließlich sei sein Büro auch nicht größer.

Die Isolation beschrieb sie so: „Es gibt Mittelwellen-Radio und zensierte Zeitungen für die Gefangenen. Aber kann man mit Zeitungen sprechen? Kann man ein Radio umarmen?“ K.S. / FWG