: Der Maitre d'Anarchie
■ Die Uraufführung von Fernando Pessoas „Ein anarchistischer Bankier“ im Schweizer Bankenverein
Ist Anarchie praktizierbar? Was ist mit der Idee einer Kollektivordnung ohne Zwang? Eine Fiktion, die andere Fiktionen ablösen will? Und der individuelle Anarchist in seiner Ablehnung von Normen und Autoritäten: Worin unterscheidet er sich vom skrupellosen Egoisten? Fernando Pessoa führt in seinem Theaterstück ironisch die Sackgassen vor, in die anarchistische Theorie und Praxis geraten können (müssen?).
Die Uraufführung in Basel wirft eine weitere Frage auf. Warum wird dieses Stück erst jetzt gespielt, und warum erschien es nie auf den Spielplänen der sechziger und siebziger Jahre? Denn Ein anarchistischer Bankier wirkt wie eine ironische Bestandsaufnahme der Erfahrungen, die die Linke nach '68 verarbeiten mußte. Manchem der damaligen Aktivisten könnte das Stück heute geradezu prophetisch erscheinen. Fernando Pessoa schrieb es 1922. Warum blieb es so lange unentdeckt? Zum einen, weil das gesamte Werk Pessoas lange Zeit nicht aufgearbeitet wurde. Hinzu kommt, daß Ein anarchistischer Bankier eher spröde ist, sich fast schon dem Theater verweigert. Der Bankier erläutert einem Freund beim Essen, wie er Anarchist wurde: Am Anfang war das Kollektiv, der Wunsch, die Idee, gemeinsam durchzukämpfen. Man scheiterte. In der Gruppe bildeten sich neue Formen von Tyrannei, die der Idee widersprachen. Er sagte sich los, in der Überzeugung, daß der Anarchist nur individuell die Tyrannei der bürgerlichen Fiktionen bekämpfen kann. Kampf mußte sein, ein Rückzug ins ländliche Idyll wäre Verrat gewesen.
Und dann kam der Tag, der hohe Tag seiner anarchistischen Theorie, da er zum Wesen des Anarchismus vordrang. Was ist die größte bürgerliche Fiktion? Das Geld. Und wie bekämpft man diese Fiktion? Indem man Geld macht. Seine Devise war nicht, den einen oder anderen Bankier zu liquidieren, sondern selbst einer zu werden - ein Betrüger und Wucherer. Das sagt der Schauspieler Franz Boehm in einem Sitzungszimmer des Schweizerischen Bankenvereins. Dort nämlich hat das Baseler Theater Pessoas Stück inszeniert, drei Gehminuten vom Theater entfernt. In die Höhle des Löwen ist das Theater also gegangen, eines Löwen allerdings, der derzeit nicht brüllt, sondern schmeichlerisch Kunst und Künstler umwirbt. Die Situation ist komisch: Während die Manager - auch die der Finanzen - effizienzbeflissen das Anarchische des künstlerischen Schaffensprozesses für ihre eigenen Arbeitsformen nutzbar machen wollen, spielt das Theater in den heiligen Finanzhallen ein Stück, das von den Schwierigkeiten mit der Anarchie handelt. Inwieweit das Theater in Basel ohne Atemnot der innigen Umarmung mit der Schweizer Hochfinanz entkommt - es wird sich zeigen. Denn bei solcher Zusammenarbeit ist es wie in der Liebe. Nicht daß sich die Liebenden von vorneherein übers Ohr hauen wollen ist das Problem, sondern daß zu große Nähe Begehrlichkeiten weckt.
„Wir besitzen weder einen Körper noch eine Wahrheit - nicht einmal eine Illusion. Wir sind Gespenster aus Lüge, aus Schatten von Einbildungen, und mein Leben ist nichtig von außen wie von innen.“ Das hat Fernando Pessoa in seinen Prosaaufzeichnungen, dem Buch der Unruhe, geschrieben. Auch sie wurden erst Anfang der achtziger Jahre (fast fünfzig Jahre nach seinem Tod) in Portugal veröffentlicht. „Ein Gespenst aus Lüge“, das ist der Bankier. Pessoas feine Ironie trifft aber auch den Anarchismus. Mehr noch. In seinem Text ist Verachtung: gegenüber den Finanz-Machern und ihrem Versuch, selbst Aufrührerisches ihren Zwecken dienstbar zu machen; und gegenüber einer Theorie der Freiheit, die in der Praxis Tyrannei schafft.
Portugals wichtigster Dichter der Moderne hat mit dem Anarchistischen Bankier keinen vergnüglichen Theaterstoff geschrieben, aber das ist kein Nachteil. Denn man wird mit der Schönheit des logischen Diskurses entlohnt. Im Sitzungssaal versammeln sich die Zuschauer an kleinen Tischen. Es ist intim, fast schon verschwörerisch. Würde nicht auch noch gespeist (u.a. „Mousse d'avocats et de tomates avec Sauce aux fines herbes“), könnte man sich als Mitglied eines neuen anarchistischen Zirkels fühlen, mit Franz Boehm als Maitre d‘ Anarchie. Er und „der Freund“ (Guido Bachmann) speisen selbstverständlich mit, aber irgendwann hebt der Diskurs an. Zuerst versucht Franz Boehm nur den Freund am eigenen Tisch zu überzeugen, und das ist theatralisch karg. Dann wird es lebendiger. Er geht zwischen den Tischen umher, setzt sich hier- und dorthin, steht wie der Direktor persönlich am Fenster und sieht melancholisch auf die Straßenbahnen herab, die draußen im Zentrum Basels vorbeifahren.
Der Dramaturgie des Stücks folgend, wird er immer mehr zum diabolischen Verführer. Zuerst gaukelte das Essen verschwörerische Gemeinschaft vor, jetzt versucht der Bankier die Zuschauer einzulullen und für seine Strategien zu gewinnen. Er will davon ablenken, daß sein hoher Tag der anarchistischen Theorie in Wahrheit sein Waterloo war. Ein logisch-korrektes Waterloo natürlich. Guido Bachmanns Part des Freundes ist fast ganz stumm. Da hätte Regisseur Brian Michaels mehr tun müssen. Die Reaktionen Guido Bachmanns sind zu verhalten, wenn er unter die Zuschauer geht, wird er selbst fast einer.
Jürgen Berger
Basel, das Theater und der Bankenverein bemühen sich nicht nur theatralisch um Fernando Pessoa. Begleitend zur Uraufführung mehrere Veranstaltungen: am 22.4. einen Fernsehfilm von Peter Hamm, „Im Labyrinth des Ich - Fernando Pessoa und Portugal„; am 23. lesen Schauspieler aus dem „Buch der Unruhe“ und andere Texte; am 24. spricht Peter Hamm über Pessoa; am 20.Mai dann ein Podiumsgespräch über Anarchie und Geld mit Vertretern aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik. Der „Anarchistische Bankier“ ist in diesem Monat noch am 20., 21., 22. und 23. zu sehen.
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