: „Dir vergeht alles-sogar der Haß“
■ Unter Berufung auf eine Notstandsverordnung aus der britischen Mandatszeit nimmt die israelische Militärregierung in Westbank und Gaza-Streifen PalästinenserInnen ohne Anklageerhebung und ordentliches Gerichtsverfahren fest. Diese sogenannte Administrativhaft wird für sechs Monate verhängt und kann beliebig oft verlängert werden. Sie richtet sich vor allem gegen Journalisten, Lehrer, Gewerkschafter und andere Aktivisten, die in Verdacht stehen, eine führende Rolle im Widerstand zu spielen. Der Palästinensr Na'im wurde in verschiedenen israelischen Militärgefängnissen festgehalten. Der 35jährige Ladeninhaber war im Juni 1988 auf Befehl des Distriktkommandanten von Ramallah in Administrativhaft genommen worden. Die letzte Station seiner Gefangenschaft war das berüchtigte Internierungslager „Ansar3“, das nur wenige Monate nach Beginn des Palästinenser-Aufstands von der israelischen Armee in der südlichen Negev-Wüste innerhalb des Truppenübungsgeländes Ketziot eröffnet wurde.
Bis heute hat mir keiner gesagt, warum, Tatsache aber war, daß ich im Frühsommer vergangenen Jahres auf der schwarzen Liste des Shin Beth (israelischer Inlandsgeheimdienst, d.Red.) gelandet war. Ich nehme an, sie verdächtigten mich ganz einfach, in der „Demokratischen Front“ aktiv zu sein. Wegen angeblicher Mitgliedschaft in dieser Partei war ich bereits früher immer mal wieder für ein, zwei Jahre hinter Gittern. Vermutlich sollte mit meiner Verhaftung auch meiner Frau ein Denkzettel verpaßt werden, die in der „Union der palästinensischen Frauenkomitees“ die Familien ausgewiesener Landsleute betreut. Als ich vom Haftbefehl gegen mich erfuhr, schloß ich meinen Laden und tauchte bei Freunden unter. Ich stellte mich, nachdem mir zu Ohren gekommen war, daß die Besatzungsbehörden meinen alten Vater und zwei Brüder an meiner Stelle arrestiert hatten.
Ich wurde bereits bei meiner Verhaftung von mehreren Soldaten mit Plastikstöcken durchgeprügelt und sodann nach Ramallah gebracht. Hier steckte man mich mit etwa 80 anderen Gefangenen in ein Zelt, das gerade 32 Quadratmeter groß war. Wir lagen die meiste Zeit dort gefesselt mit verbundenen Augen dicht zusammengequetscht auf dem Boden.
Schläge beim Verhör
Nach acht Tagen verlegte man mich zusammen mit 40 weiteren Administrativhäftlingen nach Dahriye, einem ehemaligen Tierstall der britischen Armee südlich von Hebron, den sie nun anläßlich der Intifada zum Gefangenenlager umfunktioniert haben. Dort checkte uns ein Arzt bald nach unserer Ankunft. Als er feststellte, daß einige keine Striemen am Körper hatten, befahl er den Soldaten zuzuschlagen und hieb selbst kräftig mit drauf los. Mindestens drei Gefangene sind innerhalb des letzten Jahres in Dahriye zu Tode mißhandelt worden. Die Schreie der Verhörten drangen bis in unsere Zelle.
Offensichtlich hatten die Soldaten die Erlaubnis, was auch immer sie wollten mit uns zu tun und uns nach Lust und Laune zu schikanieren. Viermal täglich betrat ein Bewacher unseren Raum. Einer nach dem anderen mußte aufspringen, salutieren und rufen „Wir sind bereit, captain“ und sich dann an die Wand drehen. Wir wurden gezwungen, obszöne Beschimpfungen gegen Arafat, unsere Frauen und Mütter nachzusprechen. Ein Soldat steckte einem 14jährigen, der den ganzen Tag lang verzweifelt nach Wasser gerufen hatte, den Penis in den Mund. Der Junge, der eine Augenbinde und Handfesseln trug, mußte seinen Urin trinken.
Bei einzelnen Protesten und Befehlsverweigerungen wurden gleich alle Zelleninsassen gemeinsam verprügelt. Gewöhnlich gab die Gefängnisleitung gegen Beschwerden nur ein leichtes Schmerzmittel. Ein einziger Häftling, dessen Kopf mit Militärstiefeln traktiert worden war, wurde zum Arzt gebracht, nachdem ihm zehn Tage lang Eiter aus den Ohren geflossen und er völlig taub geworden war. Glücklicherweise war ein sehr alter Mann unter uns, der gebrochene Knochen mit einer traditionellen Massage zu behandeln wußte.
Gefesselt im Viehtransporter nach Haifa
Mit verbundenen Augen, in zusammengekrümmter Haltung fest gefesselt, brachte man mich mit anderen Häftlingen in einer Art Viehtransporter nach Atlit bei Haifa. Seit dieser Fahrt kann ich nicht mehr gerade stehen... In Atlit war ich etwa drei Wochen lang in einer stickigen, stockdunklen Kammer isoliert. Zweimal täglich ein Streifen Licht, eine Hand, die einen Teller Bohnen, Brot und Wasser durch die Tür schob... Ich kannte das schon von meinen früheren Gefängnisaufenthalten. Du verspinnst und verlierst dich, dir vergeht alles, deine Erinnerung, dein Wille, sogar der Haß auf sie. Den Abtransport nach „Ansar3“ erlebte ich im Schwindel. Langsam legen sich Farben und Formen übereinander und verfestigen sich dann zum Bild der Außenwelt.
Bevor sie uns in „Ansar 3“ registrierten, saßen wir den ganzen Tag unter glühender Sonne, in Handschellen und ohne Frischluft im Bus. Abends schließlich wurden unsere Namen gegen vierstellige Nummern ausgetauscht. Jeder erhielt ein Set der blauen Anstaltskleidung.
In „Ansar 3“ befanden sich damals, im Sommer 1988, etwa 3.000 Gefangene, zu 25 bis 28 Häftlingen in einem 50 Quadratmeter großen Zelt. Jeweils acht Zelte sind mit hohem Nato-Stacheldraht umzogen, vor dem Soldaten Position bezogen haben. Sie betreten viermal täglich mit Waffen und Tränengas zum Zählappell die Sektion. Derweil richtet ein Militärjeep von außen das aufgepflanzte Maschinengewehr auf die Gefangenen, die die Hände auf dem Rücken verschränkt haben und im Sand sitzen. Sie haben der Reihe nach ihre Personalnummer zu nennen und sich sodann umzudrehen.
„Vordringliche Sicherheitsgründe“
In „Ansar 3“ hörten sie nun damit auf, uns täglich zu schlagen. Man ist dort ja kein konventioneller Sträfling, sondern wird aus „vordringlichen Sicherheitsgründen“ interniert. Im Sinne der vierten Genfer Konvention hatten wir daher einen Anspruch auf schonende Behandlung. Nach wie vor aber werden Verstöße gegen die militärische Lagerordnung mit Prügel und Einzelhaft geahndet. Auch die äußeren Haftbedingungen kann man nicht anders denn als Strafe und Tortur erleben. Zum Beispiel liegen in den Zelten nur dünne, grobmaschige und sehr harte Matten. Da die Seitenwände geöffnet bleiben müssen, ist man den Sandstürmen, den nächtlichen Frosttemperaturen ebenso ausgesetzt wie Insekten und Ungeziefer. Tagsüber donnern pausenlos die Tiefflieger über die Köpfe, nachts taucht die Leuchtmunition über den Schießanlagen nebenan das ganze Gelände in gleißend helles Licht.
Wirklich jeder hatte Magen- und Darmbeschwerden. Zu essen gab man uns nur kalte, manchmal stinkende Dosenmahlzeiten. Das versiffte Wasser in den Tanks reichte kaum zum Trinken. Wir mußten es sehr streng rationieren, damit alle acht Tage für jeden eine kurze Dusche raussprang. Wochenlang blieb die verschwitzte und staubige Kleidung am Körper. In „Ansar 3“ nahm ich zwölf Kilogramm ab, mir wuchs ein langer Bart. Wir hatten hier nicht mal die Möglichkeit, uns aus Zeitungen über die politische Lage draußen zu informieren.
Tödliche Schüsse
auf Gefangene
Am 16.August gab es neben uns in der Sektion E, in der Gefangene aus Gaza zusammengehalten werden, drei Tote und zahlreiche Verletzte. Die israelische Presse erklärte das mit einer „gewalttätigen Meuterei“. Geschehen war aber folgendes: Soldaten kommandierten eine Gruppe von Häftlingen zu Bauarbeiten innerhalb des Lagers ab. Sie weigerten sich zunächst und ließen sich erst abführen, nachdem sie schwer geschlagen worden waren. Abends kamen sie zurück, sie hatten zwölf Stunden in der prallen Sonne Betonböden gezogen. Anderntags forderte ein Sprecher, der von den Gefangenen der Sektion bestimmt worden war, mit Zemach, dem Lagerchef, über Zwangsarbeit zu diskutieren - die ja allen auch von Israel unterzeichneten internationalen Konventionen widerspricht. Als Antwort wurde die ganze Sektion mit CS-Gas beschossen, irgendwann flogen dann Steine zurück. Darauf fuhren Panzer vor. Die Gefangenen beschlossen, die äußerst gefährliche Situation zu beruhigen und zogen sich in ihre Zelte zurück. Nachdem sich der Nebel von Gas und aufgewirbeltem Sand gelichtet hatte, erschien Zemach. Er schäumte vor Wut und feuerte dann plötzlich mit seiner MP auf einen Häftling, der sein beleidigendes Gebrüll mit dem Victory-Zeichen entgegnet hatte. Er war fast sofort tot. Etliche sprangen auf, um ihm noch zu Hilfe zu kommen. Sie wurden von allen Seiten unter Beschuß genommen. Am Abend waren dann zwei der Verletzten in ihren Zelten verblutet. Die Lagerleitung hatte es entschieden abgelehnt, sie ärztlich versorgen zu lassen. (Ein Ausschuß, der diesen Vorfall untersuchen sollte, hat seine Tätigkeit inzwischen ohne Ergebnis eingestellt. d.Red.)
Nach drei Monaten Haftzeit informierten die Besatzungsbehörden zum ersten Mal meine Familie über meinen Verbleib. Da man eine Besuchserlaubnis nur nach langwierigen Anträgen gegen Nachweis von Steuerzahlungen und hohe Gebühren erhält, schickte meine Frau einen Anwalt. Er konnte natürlich nichts ausrichten. Den Richter, sowieso nur eine Farce, bekam er erst gar nicht zu Gesicht. Der eigentlich Zuständige ist ein Offizier des Shin Beth, der hier in einem eigenen Zelt residiert und grundsätzlich jegliche Auskunft über Haftgründe verweigert.
Freiheit gegen Kollaboration
Wohl aber versuchte dieser uniformierte Geheimdienstler uns immer, wieder mit der Offerte „Freiheit gegen Kollaboration“ zu bestechen. Aber nicht einer wurde schwach. Wir sind nicht die Ratten, als die sie uns behandeln. Wir hatten ein starkes Zusammengehörigkeitsgefühl und nutzten unsere Haft als Schule für den Kampf gegen die Besatzung. „Ansar 3“ bietet einem schließlich eine gute Gelegenheit, die Militärs aus nächster Nähe zu studieren, und außerdem gab es dort viel Zeit, um unsere Erfahrungen mit der Besatzung zu diskutieren und den Fortgang der Intifada zu planen. Jetzt, nachdem ich wieder draußen bin, hat sie für mich erst richtig begonnen.
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