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Boykottaufruf am Benzinzapfhahn

Bundesweiter Aktionstag gegen die Ölförderung im Wattenmeer durch Texaco / Öl-Multi reagiert mit Gegenpropaganda / Immer häufiger Übergriffe der Tankstellenpächter auf die UmweltschützerInnen  ■  Aus Hamburg Frank Wieding

Schwarze Gestalten mit weißen Masken bewegen sich über das Straßenpflaster, theatralische Musik erklingt im Hintergrund, Manager im Nadelstreifenanzug kicken einen Öleimer weg und vergiften damit Fische und Vögel: Pantomime in Hamburg. Anläßlich des vierten bundesweiten Aktionstags gegen den Öl-Multi Texaco riefen Tier- und UmweltschützerInnen am vergangenen Samstag wie in Hamburg vor über 100 weiteren Tankstellen im gesamten Bundesgebiet zum Boykott der Zapfstellen auf.

Texaco, seit dem vergangenen Jahr eine Tochter der Rheinisch-Westfälischen-Elektrizitätswerke (RWE), fördert seit Ende 1987 gemeinsam mit der Wintershall AG auf der Ölbohrinsel Mittelplate I nahe der Vogelschutzinsel Trischen im Naturschutzgebiet schleswig-holsteinisches Wattenmeer Öl. Nicht weiter schlimm, meinen die PR-Strategen von Texaco, denn die künstliche Insel falle mit ihrer Größe von 70 mal 95 Metern im 285.000 Hektar großen Nationalpark Wattenmeer kaum auf.

„Das entspricht einem Bierdeckel auf dem Fußballfeld“, versucht die Texaco zu kaschieren und fügt hinzu, daß man die Förderanlage ohnehin „häufig nicht sieht, weil das Wetter nicht immer klar und sonnig ist“. Mit Hilfe von Ausnahmegenehmigungen konnte in dem Rückzugsgebiet der Vogelwelt Öl gesucht und gefördert werden. Zwischen Juli und September mausern etwa 30.000 Brandgänse und genausoviele Eiderenten in der direkten Nachbarschaft zur Ölbohrinsel. Über 100.000 Vögel nutzen jährlich das Watt-Areal als Rastplatz. Die UmweltschützerInnen fürchten, daß bei einem Unfall die Tier- und Pflanzenwelt unwiederbringlich zerstört würde. Texaco selbst hatte noch vor einem Jahr ein Restrisiko eingestanden.

Kommt ein Seevogel mit Öl in Kontakt, versucht er, sein Gefieder zu putzen, wodurch das Öl in den Magen-Darm-Trakt gerät und, neben der Zerstörung der Isolierwirkung des Gefieders, das Tier vergiftet. Zusätzlich werden durch das Absinken von Teilen des Rohöls die Bodenorganismen am Wattboden zerstört. Nachdem Texaco laut einer Infratestumfrage aus dem Jahre 1987 den größten Imageverlust unter den hundert größten bundesdeutschen Industrieunternehmen hinnehmen mußte, holte der Konzern zum verbalen und propagandistischen Gegenschlag aus. Hatte Texaco sich anfangs ein PR-Konzept von der Werbefirma Wächter erstellen lassen, das unter anderem die „Anlage von Dateien“ über die „destruktiven Kräfte“ des Landes beinhaltete, beließ es der Konzern erst einmal bei einem vierseitigen Informationsblatt auf Recyclingpapier.

Doch Texaco kommt mit seinen Ölbohrungen im Wattenmeer nicht aus der Schußlinie der UmweltschützerInnen. Um weitere Rufeinbußen zu vermeiden, äußert sich die RWE am liebsten gar nicht erst zu der Ölförderung der Tochterfirma. Und bis Anfang nächsten Jahres soll auch der angeschlagene Name Texaco verschwunden sein. Unter dem Namen DEA, der Kurzform für Deutsche Erdöl AG, sollen dann die 2.000 Tankstellen der Deutschen Texaco und der Union Rheinische Braunkohlen Kraftstoff firmieren. Über 50 Millionen kostet die RWE die Umrüstung der Tankstellen mit dem neuen Namen und Firmensignet. Doch die UmweltschützerInnen sind gewappnet. Auch unter neuem Namen müssen die PächterInnen von Tankstellen mit dem Protest vor ihren Zapfsäulen leben.

Dies scheint einigen allerdings immer schwerer zu fallen. Mehrfach waren bei zurückliegenden Protestaktionen UmweltschützerInnen von Pächtern angegriffen und bedroht worden. In Hamburg fuhr am Samstag ein mit Skinheads besetzter Pkw nach kurzer Absprache mit dem Tankwart mit hoher Geschwindigkeit auf die ProtestlerInnen zu. Die konnten zwar gerade noch zur Seite springen, doch nun ermittelt die Polizei gegen den flüchtenden Fahrzeughalter. In anderen Städten blieb es dagegen diesmal friedlich. Der Konzern selbst dreht lieber an der Geldschraube: Drastische Benzinpreissenkungen (Hannover: 0,80 Mark für Diesel, 0,90 Mark für Super) und Blumen für die tankenden Autofahrer waren bisher Texacos Antwort auf den Boykottaufruf.

Ungeahnte Schützenhilfe bekam der Konzern jetzt vom Umweltbundesamt in Berlin. Anläßlich der Düsseldorfer Umweltmesse „Envitec“ untersagte es die im Öffentlichkeitsreferat arbeitende und für die Verbändeförderung zuständige Mitarbeiterin, Eva Rekittke -Leppelsack, den ausstellenden Umwelt- und Jugendgruppen, zum Texaco-Boykott aufzurufen. Als an den Ausstellungsständen trotzdem Boykottplakate auftauchten, soll Rekittke-Leppelsack mit der Streichung der Fördermittel gedroht haben. Gegenüber der taz bestritt die Bundesumweltamtsmitarbeiterin die Daumenschraube über den Geldhahn: „Das ist doch alles Blödsinn. Doch wir können nun mal nur Beiträge fördern, die dialogfähig sind.“ Und da es um die Bilanzen eines deutschen Multis geht, ist eine Dialogfähigkeit für das Bundesumweltamt offenbar nicht mehr gegeben.

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