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Koalitionsstreit um Kriegsdienstzeit

■ Die Erhöhung der Wehrdienstzeit auf 18 Monate soll ausgesetzt werden / Neue Zahlen durch Volkszählung und Aussiedler

Bonn (dpa/ap) - In Bonn haben sich am Wochenende parallel zur am Sonntag begonnenen Klausurtagung des CDU -Bundesvorstandes die Anzeichen verdichtet, daß es zu einer Rücknahme der umstrittenen Wehrdienstverlängerung kommt. Der CSU-Vorsitzende Waigel hat darüber hinaus in München vor Journalisten nicht ausgeschlossen, daß die beschlossene Quellensteuer von der Bundesregierung wieder abgeschafft werde. „Ich schließe eine Korrektur, eine Änderung, aber auch eine Abschaffung nicht aus“, sagte Waigl.

In Bonn geht man davon aus, daß es mit einem Verzicht auf die Verlängerung des Wehrdienstes auch bei der bisherigen Zivildienstzeit von 20 Monaten bleibt. Der zivile Ersatzdienst ist grundsätzlich ein Drittel länger als der Wehrdienst. Entsprechend den Koalitionsbeschlüssen zur Verlängerung des Wehrdienstes sollte der Zivildienst zum 1.Juni von 20 auf 24 Monate verlängert werden.

Der FDP-Vorsitzende Otto Graf Lambsdorff äußerte in 'Bild am Sonntag‘ die Erwartung, daß sich die Union der Forderung seiner Partei nach Beibehaltung der Dienstzeit von 15 Monaten anschließt. Die Regierung habe sich vorgenommen, die neuen Daten und Zahlen zu prüfen und anhand der Ergebnisse zu entscheiden, ob die Verlängerung bleiben müsse. „Es sieht so aus, daß sich der Koalitionspartner uns anschließt, so daß noch vor dem nächsten Einberufungstermin im Juni Klarheit herrschen kann“, sagte Lambsdorff.

Nach einem Bericht der 'Welt am Sonntag‘ liegen dem Kanzleramt neue Berechnungen vor, wonach auch bei einer Nichtverlängerung der Wehrpflicht eine Bundeswehrstärke von 456.000 Mann garantiert werden könne. In Expertisen werde die mögliche Beibehaltung von 15 Monaten mit Erkenntnissen aus der Volkszählung und einer ansteigenden Wehrpflichtigenzahl durch Aussiedler begründet. Derzeit lebten in der Bundesrepublik allein 20.000 Aussiedler im wehrpflichtigen Alter. Es müsse jedoch noch überprüft werden, wer bereits im Ostblock seinen Militärdienst abgeleistet habe und folglich für die Bundeswehr ausfalle, so die 'Welt am Sonntag‘.

Unterdessen stieß die Entscheidung der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen sowie der IG Medien, sich dem Aufruf zur massenhaften Kriegsdienstverweigerung anzuschließen, in der Koalition auf scharfen Protest. Der FDP-Vorsitzende Lambsdorff sprach von einer „unglaublichen Herabwürdigung der friedenssichernden Rolle der Bundeswehr“ und einer „Beleidigung aller Wehrdienstleistenden“. Die Aktion sei ein „Schlag ins Gesicht aller Soldaten“, sagte der FDP-Vorsitzende, und seine Partei werde im Bundestag eine Aktuelle Stunde zum Vorgehen der Gewerkschaften beantragen.

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