piwik no script img

Prozeß gegen brasilianische Todesschwadron

Aufsehenerregendes Verfahren gegen die Mitglieder eines Todesschwadrons der Militärpolizei / Angst und Terror ziehen sich durch das Verfahren / Die Spaltung der verschiedenen Polizeiformationen ermöglichte die Ermittlungen  ■  Aus Recife Johanne Jakobian

Am Morgen des 29.März rissen sich die Einwohner der Kleinstadt Guarabira im Norden Brasiliens gegenseitig die Zeitung aus den Händen. Nichts! Das Urteil war noch nicht gefallen, als die Zeitung in Druck ging. Aber das Radio wußte Bescheid: In den frühen Morgenstunden hatten die Geschworenen nach mehr als zwölfstündiger Verhandlung die drei Angeklagten schuldig gesprochen.

Nicht allein der Urteilsspruch ist ein kleines Wunder in diesem Land, sondern schon die Tatsache, daß der Prozeß stattfand. Die jungen Angeklagten in ihren Jeans und bunten T-Shirts sind nicht so harmlos wie sie aussehen, und sie haben mehr auf dem Kerbholz als die zwei Morde, die jetzt verhandelt wurden. Vier Jahre lang waren sie Angehörige einer Todesschwadron von Militärpolizisten, die Guarabira in Schrecken versetzte und ingesamt für 38 Morde verantwortlich sein soll.

Der Schrecken der Todesschwadron wirkt fort, das zeigte sich auch in der Verhandlung. Wichtigster Zeuge der Anklage war ein Pater, der unter Polizeischutz aussagte. Er hatte Material und Aussagen gegen die Angeklagten gesammelt und schilderte dem Gericht, wie er während der Beerdigung eines Mordopfers auf frische Grabstellen für die nächsten Opfer hingewiesen wurde. Vor dem Prozeß wurde er zu seinem Schutz nach Rom gerufen, von wo aus er für die Verhandlung anreiste.

Seine Angst ist berechtigt und der Mut der Geschworenen zu bewundern. Schließlich müssen sie mit ihrer Polizei weiterleben. Neben einer machtlosen Zivilpolizei gibt es überall in Brasilien auch die Militärpolizei, die nicht etwa für innermilitärische Probleme, sondern für die Verbrechensbekämpfung zuständig ist. Sie ist gut bewaffnet, und ihre Angehörigen, von den lokalen Machthabern gestützt und durch keine erkennbare Überwachung eingeschränkt, führen sich mitunter auf wie eine Söldnertruppe im unterworfenen Land.

Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus - in der Militärpolizei herrscht das, was sich Kameradschaft nennt. Wird der Unteroffizier überleben, oder findet man auch ihn eines Tages erschossen am Straßenrand? Auf jeden Fall sind seine Chancen geringer als die des Hauptmanns, der während der Verhandlung einstimmig als geistiger Urheber der 38 Morde von Guarabira bezeichnet wurde. Er konnte nicht vor Gericht gestellt werden, weil er aus der Haft geflohen war dabei hatte man ihn vorsichtshalber in einer anderen Stadt und unter der Obhut der Feuerwehr untergebracht.

Umsonst: Im Dezember letzten Jahres bestieg er im Hof seines Gefängnisses einen roten Monza und fuhr zwischen den Torwächtern hindurch auf die Straße; seitdem hat ihn angeblich niemand mehr gesehen.

Die Verbrechen von Guarabira muten geradezu provinziell an, wenn man sie mit den Vorgängen in der 150 Kilometer entfernten Metropole Recife vergleicht - dem Venedig Brasiliens, das allwöchentlich Hunderte von liebeshungrigen Touristen aus der Bundesrepublik anzieht.

38 Morde galten in Recife als Wochendurchschnitt der Todesschwadrone, bis es im letzten Jahr rund tausend wurden. „Niemand, nicht einmal ein Kind, wunderte sich mehr, wenn er über eine Leiche stolpert, am Straßenrand oder in einem Zuckerrohrfeld oder sogar in der Nähe einer Schule“, klagte kürzlich eine Zeitung. Erst seit zwei Monaten, seit auch hier eine Untersuchung läuft, ist die Zahl der Mordopfer auf eins pro Tag gesunken.

Die Gerichtsmedizin von Recife, bei der die Opfer landen, stellte fest, daß 96 Prozent von ihnen arm und dunkelhäutig sind. Obwohl die Mörder sich mit Masken und Umhängen tarnen, hinterlassen sie andere Spuren: Viele Opfer zeigen die Folterspuren brennender Zigaretten oder haben die Hände auf den Rücken gefesselt, manche sogar mit Handschellen. Fast alle wurden als „unidentifizierbare Gewaltopfer“ auf Staatskosten beerdigt, da die Angehörigen nur in einem Zehntel der Fälle eine Verlustanzeige aufgeben - aus Angst.

Die jetzige Untersuchung dieser Vorfälle in Recife ist möglich, weil es gelang, die verschiedenen Polizeiformationen der Millionenstadt zu entzweien. Jetzt sagt eine gegen die andere aus, und die Öffentlichkeit erfährt, wo und wie die Aktionen geplant wurden, und wie man sich die Stadtviertel zuteilte. Manche Opfer überlebten, weil ihr Name oder ihre Adresse falsch notiert wurden oder sie am Tag des Anschlags zufällig nicht zu Hause waren. Andere liegen wahrscheinlich noch auf geheimen Privatfriedhöfen einiger Polizeieinheiten verscharrt, wohin man sie auf Lastwagen, bei einer Einheit sogar mit dem ausrangierten Leichenwagen eines Beerdigungsunternehmens brachte.

Und von all dem soll niemand in Recife gewußt haben? Das ist natürlich undenkbar. Man kann aber davon ausgehen, daß die Morde der Militärpolizei von dem schweigenden Einverständnis weiter Bevölkerungskreise getragen werden. Schließlich heißen die Todesschwadronen auch justiceiros, also: Vertreter der Gerechtigkeit. Militärpolizisten sehen dunkelhäutige Slumbewohner automatisch als Verbrecher an und sprechen damit nur aus, was die Mehrheit der weißen Mittelschicht-Brasilianer denkt.

In vielen Fällen wurde bereits nachgewiesen, daß die Militärpolizei in direktem Auftrag von Geschäftsleuten handelte, die ihre Habe schützen oder ihre Gegend „sauberhalten“ wollten - so im Jahr 1987 in Rio, wo eine Gruppe dunkelhäutiger Jugendlicher, die sich ständig und lautstark auf dem Bürgersteig einer Einkaufstraße aufhielt, von einer vorüberfahrenden Militärpolizeistreife mit Maschinenpistolen niedergemäht wurde.

Es wundert daher nicht, daß die Militärpolizei die wenigen Opfer, bei denen eine Identifizierung gelingt, als gefährliche Kriminelle bezeichnet: Sie macht damit aus einem Mord eine Hinrichtung, aus einem Verbrechen einen Rechtsakt.

Eher sollte zu denken geben, daß 90 Prozent der Opfer von Recife nicht identifizierbar waren, das heißt nie mit der Polizei in Konflikt geraten sind.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen