Massenflucht aus West-Beirut

■ Elektrizitäts- und Wasserversorgung zusammengebrochen / Brände außer Kontrolle

Beirut (afp/dpa/ap) - Rund sechs Wochen nach Beginn der schweren Gefechte in Beirut hat gestern eine Massenflucht aus der geteilten libanesischen Hauptstadt eingesetzt. In Beirut wird kaum mehr ein Haus von den Borbardements verschont. Die Kämpfe forderten allein am Sonntag 36 Tote und 181 Verletzte. In den Straßen stehen Dutzende ausgebrannter oder brennender Autos, zerschossene Stromleitungen baumeln von Masten und Häuserfronten. Viele Gebäude brannten völlig aus, weil die Feuerwehr kein Wasser zum Löschen mehr hatte. Brände, die durch neue Kämpfe am Montag mittag ausgelöst wurden, gerieten außer Kontrolle. Die Elektrizitätswerke Beiruts, die 80 Prozent des Landes beliefern, erzeugen seit Sonntag keinen Strom mehr, da ihnen der Treibstoff für die Generatoren ausgegangen ist. Weil damit auch die Pumpen der Wasserwerke nicht mehr laufen, gab es in der zerschossenen Stadt auch kein Trinkwasser mehr.

Die Bewohner der Stadt nutzten ein kurzes Abflauen der Gefechte gestern morgen, um einzukaufen und sich in Plastikkanistern Wasser von öffentlichen Hähnen der Kanalisation zu holen. Brot und Trinkwasser in Flaschen gab es nicht mehr. In der christlichen Zone wurden strenge Brennstoffrationierungen beschlossen. Im Westteil der Stadt waren Leichenzüge zum Friedhof unterwegs. Autos voller Kinder und mit auf den Dächern festgezurrten Matrazen verließen die Stadt in Richtung Südlibanon. Nach den mittlerweile einmonatigen Bombardements ist nun fast die Hälfte der Einwohner West-Beiruts und seiner schiitischen Vororte in weniger gefährdete Regionen geflohen. Diejenigen, die blieben, leben, von kurzen Pausen abgesehen, meist in Schutzräumen oder Kellern. Fortsetzung auf Seite 2

Am Sonntag mußte der staatliche Rundfunksender in Beirut seinen Betrieb einstellen, nachdem zwölf Granaten in seinem Gebäude eingeschlagen waren und die Antenne getroffen hatten. Rauchschwaden vernebelten die Straßen. Die schweren Bombardements hinderten Feuerwehr und Krankenwagen am Einsatz. In beiden Teilen der Stadt wurden im Zuge der Kämpfe insgesamt sieben Krankenhäuser in Mitleidenschaft gezogen. Die meisten Patienten wurden nach Hause geschickt, um Platz für die Verletzten zu schaffen, und in die sichereren unteren

Stockwerke verlegt.

Zu den Opfern der blindwütigen Gefechte vom Sonntag zählt unter anderem der bekannte libanesischen Schriftsteller Taufik Yussuf Awad. Er starb im Haus seiner Schwiegersohnes, des spanischen Botschafters im Libanon, der ebenfalls ums Leben kam. Nach Angaben des spanischen Außenministeriums soll die Botschaft ungeachtet des Todes von Pedro Manuel Aristegui nicht geschlossen werden. Insgesamt wurden seit Mitte März 263 Personen getötet und 1141 weitere verletzt, nachdem der Chef der Christlichen Militärregierung, General Michel Aoun, seinen „Befreiungskrieg“ gegen die syrischen Besatzungstruppen lancierte.

In Beirut sprachen am Montag einige vom „Endkampf“ des seit 14 Jahren andauernden Bürgerkriegs. Der moslemische Ministerpräsident Se

lim al Hoss sandte eine dringende Botschaft an den kuwaitischen Außenminister Scheich Sabbah Ahmad al Sabbah, der dem Libanon-Komitee der Arabischen Liga vorsteht. Hoss forderte den Außenminister auf, zu intervenieren und den Kämpfen ein Ende zu bereiten. Allein Sabbahs Bemühungen werden werden eine Chance eingeräumt, eine Waffenruhe zu vereinbaren und die schwelende Präsidentenkrise im Libanon zu lösen.

Das Regime in Damskus beharrt auf dem Standpunkt, daß die syrischen Truppen zur Friedenswahrung im Libanon stationniert sind und der Konflikt ein innerlibanesischer ist. Syrien, das derzeit mit den moslemischen Milizen verbündet ist, verlangt eine Reform der politischen Strukturen, da der moslemische Teil der Bevölkerung unterrepräsentiert ist.