: Diskurs macht noch keinen Timm
■ StudentInnen des Fachbereichs Sozialwesen der Hochschule Bremen besetzen das Gebäude, in dem sie bleiben wollen: das GW 1 an der Uni / Kanzler Henkel bietet außer Diskurs nichts an
Nicht einmal den netten Prof. Offe lassen sie durch die fahrradschloßgesicherte Eingangstür von GW 1 zu seinem Computer, einer Art Brückenkopf für das Zentrum für Sozialpolitik, das hier provisorisch einziehen soll, wenn die renitenten SozialpädagogInnen endlich in die Neustadt gezogen sind. Wogegen diese sich allerdings, zusammen mit dem Fachbereich Wirtschaft seit zwei Jahren erbittert gewehrt ha
ben, weil sich mit dem Umzug die Schrumpfung von, laut Hoschulentwicklungsplan, 700 auf 180 verbindet.
Knapp 40 hochgradig weibliche BesterInnen und einen Hundestruppi sitzen in einem lausekalten (Heizung kaputt), stromdepravierten (Haustechnik durch Ausschluß geärgert) Foyer vom scheußlichen Charme der frühen siebziger Jahre und halten sich mit Klampfe und kessen kampf
liedchen warm. Sie warten auf das Gespräch mit dem Kanzler der Hochschule, Jürgen Peter Henkel.
Der, ein wahrer Super-Timm an Rechtschaffenheit vorzeigendem Verhandlungsgeschick, läßt die StudentInnen zunächst als einen Haufen von Gespensterse
hern erscheinen: Umzug und Schrumpfung habe nicht das geringste miteinander zu tun. Letztere sei „eine politische Vorgabe, die wir nicht abwehren konnten“, „Sie sehen mich in ganz falscher Rolle, ich bin mehr auf ihrer Seite und nicht auf der der Behörde“, die Schrumpfung sei ohnehin
praktisch erst in 10 Jahren zu machen, weil die StudentInnenzahl von der verfügbarer Lehrkapazität abhänge; Platz gebe es in der Langemarckstraße genug, „Die Flächen sind ja da, und jeder sieht das“, es handele sich nur darum, die am Nachmittag leeren Hörsäle so gerecht mit Studenten zu fül
len, daß dies auch die Ingenieurwisssenschaftler treffe, und Geld für die Aufstockung der Bibliothek sei mit 300.000 Mark mehr als genug vorhanden. Selbst in der im Augenblick noch auf 400 Leute ausgelegten Mensa bilden sich nur auslastungsstörende Schlangen, weil alle um halb eins essen wollen. Für die Aushandlung günstiger Umzugsvoraussetzungen bot er seine uneingeschränkte Hilfe an.
Leider hatten die Anwesenden andere Informationen: Der Hochschullehrer Harry Gläser, daß auch Konrektor Albers sich zusätzliche 700 in der Langemarckstraße nicht vorstellen kann, eine Studentin, daß nicht mal Platz für ein Frauencafe in der HfT ist, Studenten und der Fachbereichssprecher Prof. Helmut Machura, daß der Rektor nicht die Interessen den Fachbereichs vertritt und der Akademische Senat die Heraufsetzung von 180 auf 360 StudentInnen nur gegen dessen entschiedenen Widerstand durchgesetzt habe. Ein Beschluß, den Kanzler Henkel auch für zu „plaumenweich“ hält, als daß er sich dafür einsetzen würde.
Merke: Zu einem zweiten Timm wird man durch Diskurs und reale Zugeständnisse.
Uta Stolle
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