: Außer Spesen nichts gewesen
■ Der lange Abschied vom Symbolprojekt Wackersdorf
KOMMENTARE
Auch wenn der bayerische Ministerpräsident Streibl den erhofften Baustopp für die WAA gestern noch nicht verkündet hat - der geordnete Rückzug aus Wackersdorf hat schon begonnen. Die Ankündigung, daß Bayern „nicht für Wackersdorf kämpfen“ will, die wiederholte Versicherung, daß die WAA kein Prestigeobjekt und kein Steckenpferd der Staatsregierung sei, die Ankündigung eines juristischen Gutachtens zum Baustopp - das alles sind sichere Indizien für den Abschied aus der Oberpfalz. Das Hauptproblem besteht derzeit wohl eher darin, den insgeheim schon vollzogenen Ausstieg ohne Gesichtsverlust der Öffentlichkeit beizubringen. Eine Aufgabe für Sprachregelungsakrobaten.
Da zog die DWK jahrzehntelang ihre atomare Schleimspur kreuz und quer durch die Bundesrepublik, da wurden immer neue Regionen in Angst und Schrecken versetzt, Milliarden verplant, Polizeihundertschaften rudelweise verschlissen, Zehntausende von Demonstranten 18 Jahre lang windelweich geprügelt, Hunderte kriminalisiert und eingesperrt, da prasselte das ideologische Trommelfeuer von der Unverzichtbarkeit der WAA, dem Kern-, Herz- und Glanzstück der sogenannten „Entsorgung“ pausenlos auf das genervte Publikum nieder. Und am Ende entpuppt sich die ganze Materialschlacht als gigantische Luftblase. Außer Spesen nichts gewesen.
Und Kohls Brief? Er ist soviel wert, wie Kanzlerworte in den letzten sieben Jahren wert waren. Und während Kohl in Treue fest nach München telegrafiert, widerspricht sein Koalitionspartner Lambsdorff öffentlich allen Festlegungen auf Wackersdorf. Bonner Arbeitsteilung.
Entscheidend ist, daß mit der Veba der größte Atomstromproduzent der Bundesrepublik zum Rückzug geblasen hat. Die Veba-Rechnung ist einfach, und sie betrifft nicht nur die sechs, acht oder zehn Milliarden, die man an Baukosten in Wackersdorf spart.
In Frankreich, wo der aggressive Ausbau der größten Plutoniumküche der Welt nicht annähernd soviel Emotionen provoziert wie die Rocklänge von Lady Di, kann man ungestört „entsorgen“. Mit großzügigen Emissions-Regelungen, das Meer als radioaktiver Müllschlucker vor der Haustüre, ohne Chaoten, aufmüpfige Landräte, juristische Restrisiken und Festungsanlagen soll hier am westlichsten Zipfel Frankreichs das Atomprogramm auf seine neue europäische Ebene gehoben werden. Mit dem Outfit des Binnenmarktes, eingekleidet in die neue Europa-Konjunktur, wird hier die Exekution ökonomischer und politischer Kalküle vollzogen, geht die Atomindustrie den Weg des geringsten Widerstandes.
Wackersdorf wird nicht gebaut! Die Ökologieredaktion setzt fünf Flaschen Aldi-Erdbeer-Spruzz auf diese Prognose.
Manfred Kriener
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