Öffentlicher Wahlboykott in der DDR

■ 48 Bürger aus Kirchen- und Oppositonskreisen kritisieren Verfahren für Kommunalwahlen im Mai

Berlin (dpa/taz) - Erstmals haben DDR-Bürger in einer öffentlichen Erklärung angekündigt, die Kommunalwahlen am 7. Mai zu boykottieren. Die 48 Unterzeichner, Pfarrer und Mitglieder von namhaften Ost-Berliner Oppositionsgruppen, werfen den staatlichen Stellen Behinderungen und Unregelmäßigkeiten im Vorfeld der Wahlen zu den kommunalen Parlamenten vor.

Insbesondere wird in der Erklärung kritisiert, daß Versuche von unabhängigen Gruppen, eigene Kandidaten aufzustellen oder zu unterstützen, blockiert wurden. Es gebe keine Möglichkeit, „zwischen Kandidaten mit unterschiedlichen Konzeptionen entscheiden zu können“, heißt es in dem Papier. Man könne lediglich für die Kandidaten der staatlichen Einheitsliste stimmen. Die Wahlen seien deshalb ein „Symptom politischer Mißstände in der DDR“, und deren Ergebnisse dienten dazu, „die tatsächlichen Verhältnisse zu verschleiern“.

Neben mehreren Ost-Berliner Friedenskreisen haben Mitglieder der Initiative Frieden und Menschenrechte, der Umweltbibliothek, der Solidarischen Kirche, des Öko -Netzwerks „Arche“ und unabhängige Wahlbewerber, die an staatlichen Hürden scheiterten, das gemeinsame Papier unterzeichnet.

Die Kommunalwahlen, bei denen die Abgeordneten für die Kreistage und Stadtverordnetenversammlungen gewählt werden, werden in der DDR mit Spannung verfolgt - nicht zuletzt aufgrund der Wahlreform in anderen osteuropäischen Ländern wie in Ungarn und der Sowjetunion.

In der Erklärung wird auch das bisherige Wahlverfahren kritsiert: Nein-Stimmen seien auf den Stimmzetteln nicht vorgesehen. Die Benutzung der Wahlkabine sei nicht obligatorisch. Dadurch gerate jeder, der sie benutze, in den Verdacht, gegen den Kandidaten der staatlichen Einheitsliste zu stimmen. Dieses Verfahren habe zur Folge, daß eine große Zahl von Bürgern „ohne innere Überzeugung halbherzige Loyalitätserklärungen“ abgebe. Unabhängige Gruppen hatten vergeblich versucht, unabhängige Kandidaten aufzustellen.