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Systematische Verschleierung

■ Zur Debatte um die Aufrüstung der Kurzstreckenraketen

Der Eiertanz um die Modernisierung der in der BRD stationierten amerikanischen Kurstreckenraketen für atomare Sprengköpfe geht seinem Ende entgegen. Sowohl innerhalb der Bonner Koalition als auch in den Nato-Gremien wie der gerade in Brüssel tagenden Nuklearen Planungsgruppe zeichnen sich Kompromißformeln ab, die letztlich das eine Ziel haben: Es soll modernisiert werden. Trotzdem wird die Bundesregierung in den kommenden Tagen ihren angeblichen großen Erfolg verkünden: Nach zähen Verhandlungen im Bündnis habe man die Alliierten davon überzeugen können, daß innerhalb der nächsten drei Jahre ein förmlicher Beschluß über die Modernisierung der Lance-Raketen nicht notwendig sei. Folglich wird während des Nato-Gipfels Ende Mai lediglich eine schwammige Formulierung im Kommunique stehen, derzufolge man sich darauf geeinigt habe, sämtliche Waffensysteme auf dem neuesten Stand der Technik zu halten.

Tatsächlich erreicht die Bundesregierung damit einen Propagandaerfolg. Das angebliche Einlenken der britischen und US-Regierung verfolgt jedoch, genau besehen, ausschließlich ihre ureigensten Interessen. Ein Raketenwahlkampf 1990 würde die Chancen einer Wiederwahl Kohls erheblich verringern. Da man in der Nato befürchtet, daß eine SPD-geführte Regierung nach einem Wahlsieg 1990 eine Stationierungszusage für neue Kurzstreckenraketen gegebenenfalls widerrufen würde, nützt es ihr nichts, der Kohl-Truppe jetzt eine förmliche Zusage abzuzwingen.

Doch selbst für diese taktische Einsicht ihrer Verbündeten wird die Bundesregierung, genauer gesagt ihr Außenminister, einen hohen Preis zahlen müssen. Seit Monaten fordert der FDP-Mann, die Nato solle der UdSSR jetzt - und nicht erst nach Abschluß der Wiener Verhandlungen über konventionelle Waffen - Gespräche über die Verringerung taktischer Raketen anbieten. Dabei ist die Spekulation, ob Genscher dabei als ein Verhandlungsergebnis auch Null akzeptiert hätte, mittlerweile erledigt. Die USA und Großbritannien werden, nicht zuletzt mit Verweis auf ihr Entgegenkommen beim Termin der Modernisierungsentscheidung, ein Verhandlungsangebot ablehnen und zunächst auf einem Abschluß in Wien bestehen. Da dieser Prozeß Jahre in Anspruch nehmen wird, ist nach Meinung in Washington und London eine Modernisierung unumgänglich.

Dem hat hinter den Kulissen auch die Bundesregierung zugestimmt. Dafür gibt es ein eindeutiges Indiz: Der US -Kongreß verlangt für die Bewilligung der Mittel zur Entwicklung und Produktion einer neuen Waffe die Zustimmung der Länder, in denen diese Waffe stationiert werden soll. Der Kongreß hat diese Mittel für die Lance-Nachfolgesysteme bereitgestellt. Die Gipfel-Show im Mai ist somit nichts anderes als Wahlkampfhilfe für Kohl.

Jürgen Gottschlich

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