: Jugoslawien auf dem Weg in die Militärdiktatur?
■ Das nach Titos Tod eingeführte Präsidialsystem hat zum Zerfall des jugoslawischen Staates geführt. Diese Zersplitterung und der eskalierende Völkerstreit hat dem Militär einen erheblichen Machtzuwachs gebracht
DEBATTE
Von Ervin Hladnik-Milharcic
Ervin Hladnik-Milharcic ist Journalist und Wissenschaftler in Jugoslawien. Er schreibt unter anderem für 'Mladina‘, die Zeitschrift des slowenischen Jugendverbands, die sich wiederholt mit der Einmischung des Militärs in politische Fragen, mit Waffengeschäften und zuletzt mit dem Faktum eines der Militärdiktatur gleichkommenden politischen Klimas auseinandergesetzt hat und deswegen mehrfach am Erscheinen gehindert wurde. Hladnik-Milharcic begründet hier, warum es seiner Einschätzung nach in Jugoslawien zu einer Militärdiktatur kommt und worin die systemimmanenten Ursachen dafür zu sehen sind.
In den letzten zwei Wochen kreiste die politische Debatte in Jugoslawien vor allem um zwei Themen: die politische und militärische Umstrukturierung des Machtapparates von Kosovo und die Wahl des nationalen Regierungskollektivs. Die beiden Probleme sind eng miteinander verknüpft, da das Staatspräsidium das Organ ist, das in jeder Region des Landes den Kriegszustand verhängen kann, was es jüngst in Kosovo auch getan hat. In beiden Fällen geht es in der Debatte um die Grundfragen der Struktur des jugoslawischen Staates, um die Beziehungen der sechs Teilrepubliken zum Bundesstaat, um die Neudefinition von Formen des politischen Pluralismus in einigen Landesteilen und die Stärkung des ausschließlichen Machtanspruchs der Kommunistischen Partei in anderen. Der politische und ideologische Status der Streitkräfte ist ständig Thema, aber dazu gibt es soviele Versionen wie das Land Republiken hat.
Die grundlegenden Differenzen über die Form, die das Land haben sollte, können am besten daran beobachtet werden, wie die Mitglieder des Staatspräsidiums gewählt werden. Slowenien - die wirtschaftlich am meisten entwickelte und am meisten westlich orientierte Republik - sprach sich für allgemeine geheime Wahlen aus und wurde dabei von Montenegro - paradoxerweise eine der am wenigsten entwickelten und orthodoxeren Republiken - unterstützt. Kroatien hat seinen Vertreter dagegen durch einen komplizierten Mechanismus ausgewählt, der dem Volk zwar erlaubt, mehrere Kandidaten zu selektieren, in dem aber die vom Parteiapparat kontrollierte Nationalversammlung letztlich den Kandidaten bestimmt. Serbien hingegen hielt sich gar nicht erst mit halbdemokratischen Verfahren auf: Dort wurde der Kandidat vom Apparat bestimmt und von der Nationalversammlung abgesegnet. In Bosnien weigerten sich die Abgeordneten der Nationalversammlung abzustimmen, nachdem Nenad Kecmanovic, einer der Kandidaten, von der politischen Polizei zum Rückzug gezwungen wurde: 107 gaben ungültige Stimmen ab und erzwangen damit, daß das verfahren, das üblicherweise mehrere Monate dauert, wiederholt werden muß. Das Staatspräsidium, das nach dem Tod Titos die Funktion des Staatschefs übernahm, wird also in mindestens drei verschiedenen Verfahrensarten bestimmt werden, die von fast freien Wahlen bis zur Nichtwahl reichen.
Da das Staatspräsidium weitgehende Exekutivgewalt hat und als Oberkommandierender der Streitkräfte fungiert, könnte die bereits vorhandene politische Konfusion im Lande noch erheblich zunehmen. Die verschiedenen Teilrepubliken haben ihre politischen Ambitionen in den vergangenen zwei Jahren in zwei grundverschiedene Richtungen entwickelt: Slowenien auf der einen Seite versucht ansatzweise Formen des politischen Pluralismus wieder zuzulassen und hat politische vereinigungen, die sich sozialdemokratisch, liberal oder einfach demokratisch nennen, legalisiert. Auf der anderen Seite stärkt Serbien die Macht der Kommunistischen Partei, biegt aber die Ideologie nach populistischen und nationalistischen Prinzipien zurecht mit Führer-Massen -Struktur und allem, was dazugehört, wie Sturmstaffeln und klar definierten Feinden: die Albaner in Kosovo. Die anderen Republiken bewegen sich irgendwo dazwischen und neigen einmal der einen, dann wieder der anderen Seite zu. Das Problem ist, daß weder Slowenien noch Serbien den entscheidenden Schritt tun: ersteres wagt es nicht, definitiv ein demokratisches Mehrparteiensystem wiederherzustellen und die Konsequenzen in Kauf zu nehmen, letzteres zögert noch, den ganzen Bundesstaat mit seinen eindrucksvollen Massenversammlungen zu überziehen. Allgemein geht man davon aus, daß auf dem bundesweiten Parteikongreß Ende dieses Jahres die Spaltung zwischen den beiden Optionen offiziell wird.
Wie schwerwiegend die Spaltung ausfallen wird, hängt in erster Linie von der Position der Armee ab, die derzeit ein politisches Geheimnis ist. Inoffizielle Quellen behaupten, daß Generalstabschef Kadijevic dagegen ist, reguläre Truppen gegen den Albaneraufstand in Kosovo einzusetzen: eine Spezialeinheit der Polizei müsse genügen. Doch das Staatspräsidium setzte sich gegen ihn durch, das unter dem Druck von serbischen Massendemonstrationen in Belgrad handelte, die vom serbischen Parteichef Milosevic organisiert worden sein dürften, um den Armee-Einsatz zu erzwingen. Doch seit die Streitkräfte zur Befriedung der rebellischen Provinz eingesetzt worden sind und die Nationalversammlung von Kosovo gezwungen hat, eine neue Verfassung zu verabschieden, die die politischen Rechte der Albaner beschneidet (während der Abstimmung in der Nationalversammlung standen Armeepanzer vor dem Gebäude), möchten sie Kapital daraus schlagen, daß die „Gesellschaft“ sie um ihren Beistand gebeten hat.
Die Armee benimmt sich immer mehr wie ein führendes - wenn nicht das führende - politische Organ des Staates, - das einzige, das nicht von den Teilrepubliken abhängt und eine gewisse „nationale Einheit“ garantiert. Aus den Kosovo -Unruhen ist die Armee mit relativ sauberen Händen hervorgegangen, da sie „nur“ Panzer durch die Straßen rollen und Truppen aufmarschieren ließ, sich an den tatsächlichen Kämpfen aber nicht beteiligte. Die Schmutzarbeit wurde von der Polizei übernommen. Die Armeepräsenz gab der Polizei aber freie Hand, die meisten albanischen Anführer, fast alle Wirtschaftsmanager, Universitätsprofessoren, Schrifsteller und Journalisten festzunehmen.
Jetzt setzen die Streitkräfte die Jugoslawisierung von Kosovo unter ihren eigenen Bedingungen durch. Slowenien war die einzige Republik, die offen gegen den Kriegszustand in Kosovo protestierte und sich aus der blutigen Repression gegen die Albaner herauszuhalten suchte. Doch die Armee will offenbar die Schuld gleichmäßig verteilen und hat Reservetruppen nach Kosovo geschickt, die fast ausschließlich aus Slowenen bestehen. Damit wird das slowenische Alibi der „Nicht-Intervention“ zunichte gemacht.
Angesichts des Verfahrenschaos‘ bei der Wahl des Staatspräsidiums - des höchsten Staatsorganes - und durch den allgemeinen Eindruck, daß das Gesetz zumindest in einigen Landesteilen gebeugt worden ist, könnte die Armee der Meinung sein, daß das Land mehr Recht und Ordnung braucht. Die Anzahl der pensionierten Generäle in hohen Ämtern hat sich in den vergangenen vier Monaten vervierfacht.Übers.: red
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen