: Nato zeigt Bonn die atomare Schulter
Keine Verhandlungen mit Moskau über die Stationierung der geplanten neuen Atomwaffensysteme vorgesehen / Wörner: „Blutige Nase für Bonn“ / Pentagon-Chef Cheney sieht „Modernisierung“ gesichert ■ Aus Brüssel Andreas Zumach
„Die Bundesregierung wird sich eine blutige Nase holen“ kommentierte Nato-Generalsekretär Wörner gestern mittag in Brüssel die Forderung seiner ehemaligen Bonner Kabinettskollegen nach einem Nato-Angebot an Moskau zu Verhandlungen über atomare Kurzstreckenraketen. Noch bevor die Koalitionsrunde in Bonn zwecks endgültiger Festlegung ihrer Haltung in der „Modernisierungsfrage“ zusammentreten konnte, zogen die Verteidigungsminister der USA und Großbritanniens, Cheney und Younger, zum Abschluß der Tagung der Nuklearen Planungsgruppe (NPG) der Nato in Brüssel eine klare Linie: Verhandlungen über die neuen Raketen wird es vorläufig unter keinen Umständen geben.
Hinter Moskaus Wunsch nach Verhandlungen stecke lediglich „die alte Strategie der Sowjets, Westeuropa zu entnuklearisieren“. Zur Makulatur machte Cheney auch die Behauptung der Bundesregierung, die weitere Entwicklung einer Nachfolgerakete für die Lance sei eine „einseitige Angelegenheit der USA“. Dank der Abschlußerklärung der NPG -Tagung werde er den US-Kongreß bei den nächste Woche beginnenden Haushaltsberatungen zur Freigabe der für die Entwicklung benötigten Mittel bewegen können, äußerte sich der US-Verteidigungsminister „sehr zufrieden“.
In der - wie Wörner, Younger und Cheney betonten „einstimmig und ohne Fußnoten“ beschlossenen Erklärung verpflichten sich die Nato-Staaten unter ausdrücklicher Berufung auf den Montebello-Modernisierungsbeschluß von 1983 auf die Bereithaltung „diversivizierter, überlebensfähiger, flexibel einsatzfähiger Atomwaffen mit dem ganzen Reichweitenspektrum“. Diese müßten „wo immer notwendig up to date gehalten“ werden. Verhandlungen sowie das Gesamtkonzept werden nicht erwähnt. Cheney widersprach der Interpretation, die grundsätzliche Entscheidung über die „Modernisierung“ genannte Stationierung neuer Atomwaffen sei auf 1991/92 verschoben. Der Beschluß „über das Ob der Modernisierung“ sei längst gefallen und werde mit der gestrigen Erklärung „noch einmal bekräftigt“. 1991/92 gehe es lediglich um das „Wann und Wo der Stationierung und die genaue Art der System“. Verteidigungsminister Scholz erklärte hingegen, über das Ob, Wann und Wo der „Modernisierung“ werde erst 1991/92 entschieden.
Scholz räumte außerdem ein, daß der Nato-Oberkommandierende Galvin in seiner geheimen „Atomwaffenbedarfsstudie 88“ Waffen mit Reichweiten „über den Kurzstreckenbereich“ von 0 -500 Kilometer hinaus befürwortet. Galvin schlägt in seiner Studie die Beschaffung von 1.000 atomaren Abstandswaffen zum Teil mit Reichweiten bis zu 1.500 Kilometern für die Bestückung von Flugzeugen in der BRD und Großbritannien vor.
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