„ICH MACH‘ DEN HAUSMEISTER DER VEGETATION!“

■ Dezentrale Diskussion ums Ballhaus

Podiumsdiskussionen im Kulturbereich haben die unangenehme Eigenschaft, gähnend langweiligen Theoretikern Gelegenheit zum Abschwafeln zu geben. In der Bruno-Lösche-Bücherei am letzten Dienstag war das anders. Das Stück, das aufgeführt wurde, hätte Moliere, wohnte er heute in Moabit, gut gefallen. Die Stadtbücherei hatte inszeniert, auf der Besetzungsliste standen neben den verfeindeten Parteien und ihren Anhängerschaften vereinzelte Kommunalpolitiker, 1 Kunstamtsleiterin, 1 Stattreisenhistoriker, 1 Kultur-im -Weddingspezialist, Journalisten und gruppenweise Volk, siehe Anhängerschaften. Der Kultursenat war nicht zu gewinnen, da mit anderen Inszenierungen beschäftigt.

SFB-Moderatorin Claudia Henne übergab das Wort in alpabetischer Reihenfolge der ersten Verfeindeten Partei im Forum von Frank Burckner, der dieses sofort begeisternd gestikulierend wieder ausspuckte. Hinter ihm der sorgfälig berechnete Ballhausgrundriß, vor ihm für zehn Minuten die Menge, bat er um den Segen fürs Essen, das nach der Wahl kalt zu werden droht: Fünf Theater gleichzeitig, und die Disco als Kusntform muß entwickelt werden, die Disco sei ja nur eine Aufreiße mit dem einzigen Zweck, daß die Jungs und Mädels miteinander schlafen wollten.

Rumms, da war es heraus, und hatte mitten ins unschuldige Herz des noch jungfräulichen, da bisher nur nominierten AL -Volksbildungsstadtrat Schwarzrock getroffen: „Ein Kulturbegriff auf der Ebene von Miteinander-Schlafen und Konsumieren kann nicht im Sinne von alternativer Bezirkskultur sein.“ Und überhaupt wolle Burckner zuviel „in den Griff kriegen“. Auch Ingeborg Stüber von der Initiative Mo2121“ verwehrte sich gegen die Schlafkultur. Kultur sei „miteinander reden, leben, essen und trinken“, dabei sah sie selbst aber durchaus ausgeschlafen aus. „Wir wollen ein offenes Haus, in das man einfach reinkommen und mitmachen kann“, und wenn jetzt wieder der Vorwurf der Biederkeit komme, dann wolle sie mal feststellen: „Bastelkurse sind nichts Schlimmes“... meinte auch Herr Schwarzrock, denn „bezirkliche Kultur ist nun mal bieder“. Die Idee der Nachbarschaftsheime käme übrigens von den Amerikanern, die uns nicht nur Schlechtes beschert hätten. Was nicht ausdiskutiert wurde, denn Volkes Stimme wollte sich artikulieren. Eine Tiergärtnerin träumte vom Entstehen eines Volkshauses, in dem wie in den 50er Jahren gehochzeitet und vereinelt werden könnte. Ein zufällig anwesender SPD-BVVler nahm die Gelegenheit wahr, die Verbundenheit mit dem Volk und der Mo21“ zu demonstrieren.

Schon schien der Ausgang klar, da meldete sich eine andere Bürgerin, um den Diskussionsstil zu beklagen: Burckner werde auf vorsätzliche Art fehlinterpretiert - „Das ist bieder“, scholl es triumphierend aus Burckners Reihen -, sie selbst sei zweimal bei den offenen Sitzungen der Mo21“ gewesen und habe festgestellt: „Es verbirgt sich eine Clique dahinter!“ Und deshalb habe sie zweieinhalb Seiten mitgebracht, die sie mal eben schnell vorlesen wollte, mit einem Alternativkonzept. „Aber bitte jetzt nicht“, stöhnte Claudia Henne, die alle Hände voll mit den zwei restlichen Konzepten zu tun hatte. Dann hatte die alte Dame Clara Franke endlich ihren Auftritt. „Der Burckner und die Mo21 sollen sich endlich mal zusammensetzen und zusammen was machen. Der Burckner bringt die Ideen und die 'Mo‘ soll kontrollieren!“ Was die Berliner wirklich wollen, könne Ingeborg Stüber gar nicht wissen, denn sie sei ja noch „Rucksackberliner“. Im übrigen, wenn's ums Geschäftemachen geht, Geld verdienen wolle die Mo21“ auch. „Eine billige Unterstellung“ schlug die „Mo“ zurück, „wir brauchen niemand für Ideen“, „wir haben mit Absicht ein dünnes Programm“.

Immer noch zuviel Programm für das dritte Konzept. Cornelia Balzerowia, „Künstlerin“, stellte „ein echtes Basisprojekt“, Leben lernen, vor. Grundmodell für die Nutzung von Haus und Garten sei „spontane Vegetation“, deshalb hätten Hausmeister und Gärtner „Schlüsselpositionen“. „Ich mach‘ den spontanen Hausmeister der Vegetation“, schrie es aus den hintersten Reihen. „Eine Keimzelle künstlerischen Gestaltens, ein bewußter Austausch von Geben und Nehmen, ein experimentelles Modell für bewußt gelebte Perspektive“ oder „einfach nur Raum“... Von soviel pflanzlicher Güte überwältigt drohte der Runde der süße Schlaf. Da holte Christa Tebbe, Kreuzberger Kunstamtsleiterin, die Realität zurück. „Das Gebäude wird überfordert“, alles an Wünschen in diesem kulturell unterversorgten Bezirk werde hier reinprojiziert. Über „Brötchen und Kaffee“ könne man aber nicht, wie Burckner meine, ein Haus finanzieren. Burckner-Anhänger Klaus Reuter ging zum Angriff über. Er habe die Nase voll von subventionierter Kultur, diesen „Architektur-oder Sozialfallen“, wie er sie als Bühnenbildner leibhaftig erlebt hätte.

Die Mo21“, nach der Finanzierung befragt, sitzt wie ein Engel am Tisch: „Wir haben kein Geld.“ Was selbst ihren Alternativgönner Schwarzrock geradezu fassungslos machte und die zwei gegenläufigen Bewegungen in der Menge wieder anschürte. „Die Mo21 ist eine Clique, die sich vom Senat finanzieren lassen will...!“ - „Der Burckner und seine Leute suchen doch nur ein Abschreibungsobjekt...!“ Dazwischen schrie der „spontane Hausmeister“: „Ich bin von der Villa Schilla, und wir ham das Haus besetzt, und da malen wir und tun, und das Haus ham wir besetzt.“ - „Tun Sie doch was, Frau Henne, woll'n Sie den schreien lassen?“ - „Ja, was soll ich denn machen, ich kann doch nicht lauter schreien.“ „Wir ham das Haus besetzt - wieso, ich bin dran.“ - „Ja, das wissen wir schon längst“. Dann, kurz vor Schluß, traten noch verschiedene Einzelinteressen auf: Eine Frau, die unvermittelt die Stimme erhob: „Wir müssen weißes Pulver auf die Hundescheiße streuen!“ und eine ökologische Kunstturnerin, die auf ein paar Veranstaltungen hinweisen wollte, und ganz zum Schluß, den Tränen nah, immer noch dastand und sich meldete: „Halt, ich hab‘ was vergessen, es ist wichtig...!“

Dorothea Hackenberg