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Lebenslänglicher begnadigt sich

■ Herbert von Karajan tritt als Chef des Berliner Philharmonischen Orchesters ab / Präventiv-Kündigung aus „gesundheitlichen und vertraglichen Gründen“ nach jahrelangen Querelen und notorischer Abwesenheit von Berlin /

„Solange mein Arm einen Taktstock halten kann, solange werdet ihr mich nicht los. Solange ich lebe, wird über einen Chefdirigenten nicht geredet werden“, drohte Herbert von Karajan noch im letzten Jahr. Doch in bester FJS-Tradition fiel auch dem musikalischen Machtmanager die Hand schon eher ab, als er selbst beteuert hatte: gestern kündigte er seinen 1955 auf Lebenszeit abgeschlossenen Vertrag als Monarch des selbstverwalteten Berliner Philharmonischen Orchesters fristlos in einem der nach Salzburg gereisten Kultursenatorin Martiny übergebenen Brief: „Sehr geehrte Frau Senator, ich bitte Sie zur Kenntnis zu nehmen, daß ich mit heutigem Datum (dem 24.4.1989) meine Arbeit als künstlerischer Leiter und ständiger Dirigent des Berliner Philharmonischen Orchesters beende.“ (siehe auch Seite 4). Begründet hatte er seinen Abgang mit dubiosen „Ergebnissen der ärztlichen Untersuchungen“ aber auch mit dem Hinweis darauf, „daß ich seit vielen Jahren Ihre Vorgänger im Senat gebeten habe, endlich eine grundsätzliche Festlegung meiner Pflichten und Rechte vorzunehmen“. Betonung auf Rechte.

Im letzten Jahr begehrte der Abolutist von Karajan erfolglos - ein vertragliches Mitspracherecht bei der Berufung des Intendaten der Philharmoniker und die Reduzierung seiner Präsenz in Berlin. Gleichzeitig machte sich allenthalben Verärgerung breit wegen der finanziellen Praktiken des für Karajan im Ausland tätigen Konzertunternehmens Columbia Artists, an dem er auch selbst beteiligt ist. Im Januar dieses Jahres schließlich hatte der ohnehin in Berlin schon längere Zeit mehr oder weniger nur noch als (böser) Geist wesende 81jährige Greis in einem Brief an den damaligen Kultursenator Volker Hassemer 4 Krankheiten und 3 Ärzte aufgefahren zur Begründung dafür, daß er fürderhin nur noch 6 statt 12 Konzerte im Jahr in Berlin zu dirigieren geruhe. Für die nicht reduzierten und hinsichtlich ihrer medialen Verwertung äußerst lukrativen Auftritte etwa in Salzburg, Luzern und Übersee hingegen war der Geschäftsmann offenbar immer noch gesund genug. Diese Ankündigung des mittlerweile berüchtigten Absagers trieb Hassemer dann noch im Februar - also nach der Wahl, aber vor der Amtsübergabe an seine Nachfolgerin - zu ergebnislosen Verhandlungen ins Salzburger Heim des Vertragsbrechers. Im Orchester selbst wiederum machten sich gar revolutionäre Tendenzen und die Überlegung breit, ob man nicht vielleicht ganz auf einen ständigen Leiter verzichten sollte. Gestern reiste nun auch Anke Martiny gen Salzburg, nachdem sie schon hatte durchblicken lassen daß sie den Vertrag mit Karajan „prüfen“ wolle. Schon angesichts der schlechten Berliner Finanzlage... Dieser „Prüfung“ ist Abgangsstratege Karajan jetzt zuvorgekommen. Während das Orchester gestern noch schwieg, kamen von den Regierungsparteien flott die Nachrufe: Frau Martiny dankt und hofft, daß „seine Berliner Freunde die Gelegenheit haben, ihn am Pult des Berliner Philharmonischen Orchesters zu verabschieden“, während die AL brav „keine Tränen, aber Hochachtung zum Abschied Herbert von Karajans“ ableistet - eh er sich‘ s noch einmal anders überlegt.

Gabriele Riedle

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