: Kalte Füße im lila Kuschelbett-betr.: " 'Affidamento' - der allerletzte Schrei", taz vom 15.4.89
betr.: “'Affidamento‘
-der allerletzte Schrei“,
taz vom 15.4.89
Nach meinem Verständnis findet das „Affidamento“ auf dem Boden der Ungleichheit von Frauen untereinander und der sexuellen Andersartigkeit von Frauen gegenüber Männern statt. Die Autorin trennt diese Begriffe voneinander und qualifiziert sie als einzelne ab (affidamento alter Hut, sexuelle Differenz Antagonist zu Gleichberechtigung, Ungleichheit stößt auf Widerspruch bei den Frauen). Kein Wunder, daß sie es als großen Fortschritt betrachtet, daß Frauen „zum ersten Mal in der Geschichte mehr Möglichkeiten“ haben, „auf den Etagen der Macht mitzuwirken“.
Mit dem, was die Mailänderinnen sich als politische Praxis vorstellen, hat das aber nicht mehr das geringste zu tun (gerade über Macht wird in den Texten sehr viel gesprochen). Ich finde es sehr wichtig, daß wir auch weiterhin über fundamentale Zusammenhänge nachdenken.
Irmgard Müller, München 80
Die Resonanz, mit der das Buch hierzulande aufgenommen wird, honoriert den Versuch des mailändischen Kollektivs, die Theorie und Praxis der Frauenbewegung zu analysieren und neue Fragestellungen zu entwickeln. Mit deren Hilfe sollen sich auch die irritierenden und fürchterlichen Erfahrungen der Frauen als verstehbar erweisen: Die Unverbindlichkeit von Frauen, ihre Feigheit und Mißgunst, ihr Infantilismus und ihre Verantwortungslosigkeit, die Selbstzerfleischung in Streits, diese endlose Latte von zerstörerischen Verhaltensweisen, die meist resigniert und peinlich berührt als bedauerliche und unvermeidliche patriarchale Folgeerscheinungen gewertet werden und die viele Frauen entmutigt haben, das Weite, besser das Naheliegende wählen zu lassen: ein Mitsein und Mitmischen im Dunstkreis männlicher Sachlichkeit, Abgegrenztheit und Solidität, nicht zuletzt auch männlicher Reputation. Oder Frauen ahmen männliche Würde und Distanz nach. Frauen mit und unter Frauen - das waren reichlich Gelegenheiten, sich kälteste Füße zu holen in einem selten kuscheligen Bett.
Die Mailänderinnen greifen in ihrer Analyse diese Erfahrungen auf - und wenden sie positiv. Letzteres ist sicherlich für die erstaunliche Bereitwilligkeit verantwortlich, mit der ihr Ansatz aufgenommen wird. Nichts kommt den Frauen mehr entgegen, als wenn Wahrheiten, die sich längst nicht mehr ignorieren oder übergehen lassen, sich als schmerzhaft, aber verstehbar und überwindbar entpuppen. Frauen hoffen auf Auswege, die ein anderes Miteinander ermöglichen. Ein Miteinander, in dem nicht nur „akzeptiert“ wird, daß Frauen verschieden sind, in dem vielmehr die Ungleichheit zur Quelle der Kraft, zum Antrieb von Entwicklung und Entfaltung wird.
Große Worte, vage Andeutungen, ein ahnungsschwangerer Text und eine reichlich nebulöse Strategie namens „affidamento“ aber der Wert von Ahnungen ist nicht zu unterschätzen: Sie deuten die Richtung an, in der zu suchen wäre, wo der Horizont noch mal anderes verspricht als das etwas trübe gegenseitige So-sein-lassen oder hilfloses Rumgezerre. Während die letzten Jahre meist im Zeichen der kleinen Schritte (beileibe nicht nur bei den Institutionsfrauen) standen, der Feminismus mehr und mehr als mühsame und etwas undankbare Arbeit aufgefaßt wurde, trauen sich plötzlich Frauen aus Mailand, wieder eine allgemeine Frauenperspektive in die Welt zu setzen, aus der heraus sie klipp und klar Positionen beziehen. Sie stehlen sich nicht mit abgebrühtem Erwachsenengestus oder böser Häme aus der Geschichte ihrer Irrtümer und konzentrieren sich notwendigerweise auf einige Aspekte.
(...) Hören nun gleichstellungsengagierte Frauen, daß in dem Buch Gleichstellungspolitik abgelehnt wird, oder Lesben, daß die Mailänderinnen Lesbischsein nicht für eine notwendige politische Praxis halten, dann erscheint schnell der ganze Ansatz als Humbug, und was noch viel schlimmer ist: die Frauen vergessen, was sie daran eigentlich so interessiert hat. (...)
Gerade in dem Maße, wie Frauen heute erfolgreich ihre Frau stehen, wie sie sich Plätze und Gehälter sichern können, wie sie sogar Einlaß in die Politik finden (warum, steht auf einem anderen Blatt), in dem Maße wird auch deutlich, daß da noch was „anderes“ ist, was sich noch nicht Raum geschaffen hat und sich mit den bewährten Strategien auch nicht Raum schaffen wird - weder in Institutionen noch in Frauenprojekten.
Zu diesem Gefühl einer Lücke paßt die Rede der Mailänderinnen von der sexuellen Differenz. Eine Frau will sich als Frau in die Welt bringen und nicht nur als eine, die auch funktionieren kann.
Der Wert des Buches liegt nicht in direkt umsetzbaren Handlungsanweisungen. Sein Wert liegt in der wortreichen Erläuterung eines wesentlichen Aspektes weiblicher Existenz: um als Frau in die Gesellschaft eintreten zu können, ihr Begehren in die Welt zu bringen, braucht eine Frau die symbolische Vermittlung einer anderen. Fehlt es an dieser symbolischen weiblichen Autorität, kann das auch keine Gleichstellungspolitik ausgleichen. Damit gerät das gebrochene Verhältnis zur Mutter in seiner Bedeutung als erste Beziehung, als symbolische Vermittlung und in seiner Bedeutung als Zurichtungsgrundlage wieder ins Blickfeld. Auch wenn viele Feministinnen das für gefährlich halten, weil damit der Mutter wieder alle Schuld aufgeladen würde und die gesellschaftlichen Verhältnisse wieder in den Hintergrund gerieten. Es ist allerdings auch gefährlich, wenn die ungestillten infantilen Bedürfnisse nach Bestätigung, Anerkennung, diese ganze leidige Grundbedürftigkeit wie gehabt in Beziehungen unter Frauen zerstörerisch wirksam sind. (...)
Claudia Koppert, Ottersberg
(...) „Alter Wein in neuen Schläuchen“, schreibt Heide Soltau. Daß die Diskussion in vielen Teilen ähnlich der deutschen Diskussion verläuft, ist doch nicht von vornherein negativ. Andererseits gibt es viel Neues in dem Buch, das eine echte Auseinandersetzung lohnte. So werfen die Italienerinnen offensiv den Begriff der Verantwortung und Dankbarkeit - Frauen gegenüber - und, daraus resultierend, das Anerkennen weiblicher Autoritäten in die Debatte. Da haben sie ein heißes Eisen angefaßt. Und obendrein nennen sie weibliche Autoritäten auch noch „Symbolische Mütter“. (...) Luisa Muraro, eine Autorin des Buches, ist Philosophin. Sie habe, sagt sie, immer das Problem gehabt, in wissenschaftlichen Vorträgen mündliche Aussprüche von Frauen zu zitieren, die ihr oft wichtiger schienen als Geschriebenes. Statt „Meine beste Freundin...“ sagt sie jetzt: „Eine meiner großen symbolischen Mütter hat einmal gesagt...“. Und das ganze Auditorium rätsele, wer diese bedeutende Frau gewesen sein mag.
Mir wird Heide Soltaus Haltung dazu nicht ganz klar. „Die heilige Kuh mit Namen Gleichheit wurde nicht geschlachtet“, meint sie von deutschen Frauenprojekten zu wissen. Das wiederum ist einfach nicht wahr. Arbeitsteilung, unterschiedliche Kompetenzen, verschiedene Begabungen und Interessen haben sich auch hierzulande längst etabliert. Die Mailänderinnen liefern den theoretischen Rahmen für diese Entwicklung, der natürlich eine Menge Fragen offenläßt. Aber - und das hat Heide Soltau wohl völlig mißverstanden - das Buch bezieht sich doch nicht nur auf Frauenprojekte. „Wer sich völlig raushält aus den gegebenen Strukturen - und diese sind leider männlich - überläßt das Feld den Gegnern“, schreibt sie. Darum geht es den Mailänderinnen genau nicht. Die von ihnen entwickelte „Theorie der sexuellen Differenz“ ist überall anwendbar. In den Parlamenten, den Gerichten, den Fabriken, Universitäten, Büros... Sie liefern dazu eine Fülle von Beispielen. Gerade in Männerdomänen braucht eine Frau eine andere, die ihr Wert gibt. Erst wenn eine Frau imstande ist, sich nicht mehr an Männern zu messen - wird sie frei sein und im Sinne der sexuellen Differenz produktiv. Dazu braucht sie aber andere Frauen und Lehrmeisterinnen. „Frauen finden ihr Geschlecht in der Gesellschaft nicht wieder und müssen sich darum eine autonome symbolische Existenz schaffen“, schreiben die Italienerinnen.
Und somit stellt die Politik des Affidamento nicht den „alten Konflikt zwischen autonomen und Institutsfrauen“ wieder her, sondern will gerade die Verknüpfung von den unterschiedlichsten Frauen an den unterschiedlichsten Plätzen in der Gesellschaft. Und - das Affidament ist ein Mittel zum Erlangen von politischer Macht. Maria Grazia Campari, eine Rechtsanwältin und Koautorin des Buches, berichtete in Hamburg vom geschlossenen, rein weiblichen Arbeitskampf in einem italienischen Betrieb. Dort haben sich Arbeiterinnen und Angestellte - also die Frauen vom Fließband und die Frauen aus den Büros - zu Streiks zusammengetan. Dies habe eine so große Wirkung gehabt, daß die Unternehmensleitung keinen anderen Ausweg sah, als sich an die männliche Gewerkschaft zu wenden mit der Bitte, diese „verrückten Frauen“ doch zur Räson zu rufen. Noch ist es den Männern nicht geglückt. Der Kampf dauert an.
Heide Soltau sieht hingegen im Affidamento ein Sichzurückziehen in das „lila Kuschelbett“ - und ignoriert dabei völlig, daß das lila Kuschelbett nie kuschelig war und unterstellt den Italienerinnen Feigheit vor dem Feind. Das genaue Gegenteil ist der Fall. Die Mailänderinnen rufen dazu auf, endlich Schluß zu machen mit dem unproduktiven Sich-Abarbeiten an Männern und fordern ein selbstbewußtes Sichtbarmachen des weiblichen Geschlechts in der Gesellschaft.
Insofern ist das Buch nicht eine „Gefahr“ und ein „Rückfall in die siebziger Jahre, sondern geradezu eine Chance, unterstützend zu wirken. Es kommt eben nicht nur darauf an, wieviele Frauen wo vertreten sind, sondern, wie stark sie sich aufeinander beziehen. (...)
Marina Wandruszka
(...) Auch ich war neugierig und lernwillig - jedoch eine so dem Zusammenhang entrissene Theorie der „sexuellen Differenz“ ohne die Differenziertheit einer Luce Irigaray läßt bei mir nur Assoziationen zur Geschlechtertrennung nach klassischem, katholischem Vorbild aufkommen. Bei Luce Irigaray ist die Familie der vorrangige Ort der Entfremdung der Frau, ein Problem, das in der Theorie der Mailänder Frauen gar nicht existiert. Denn bei ihnen ist das Geschlecht des sexuellen Beziehungspartners und damit auch die Kleinfamilienkonstellation unwichtig und nicht entscheidend. Aber selbst wenn wir sie nicht ursächlich verstehen, so akzeptieren wir erstmal die Theorie der sexuellen Differenz. Froh, den „Unterschied“ zu Männern nun einmal grundsätzlich festgelegt zu haben, wird frau jedoch aufgefordert, es den Männern gleich zu tun: Aufgrund der Ungleichheiten sollte frau sich weiblichen Autoritäten unterordnen.
Bis zu diesem Punkt waren die Zweifel an meiner Lernfähigkeit immer noch größer als an der mir vorgestellten Theorie. Als jedoch der Kampf gegen den § 218 oder die Arbeit zur Durchsetzung der Quotenregelung als „Energieverschwendung“ dargestellt wurde, begann ich, diese Politik für gefährlich zu halten. Die Arroganz, mit der eine Frau - in der Kneipe danach - meine Einwände abblockte, indem sie sagte: “...abgetrieben wurde schon immer, irgendwie!“, hat mir dann endgültig die Sprache verschlagen. (...)
Ich denke, wir brauchen dringend neue Impulse, neue Theorien - aber diese Politik können wir getrost rechts liegen lassen.
Annette Wippermann, Berlin 61
Der Artikel von Heide Soltau scheint mir der beste Beweis dafür zu sein, daß Differenzen, unterschiedliche Meinungen und Ansichten unter Frauen nicht so ohne weiteres bestehen bleiben dürfen, wie doch aber gerade die Mailänderfrauen mit ihrer Theorie des Affidamento aufzuzeigen versucht haben. So scheint der Machtkampf unter Frauen bereits anzufangen, wenn es darum geht, ob Italienerinnen oder bundesdeutsche Frauen die besseren „Bezugssysteme“ und „Kommunikationsstrukturen“ aufgebaut haben, wer diese Denkrichtung des Affidamento zuerst entwickelt hat oder auch, wer hier welche Rechte für welche Frauen erkämpft hat.
Dabei ist es für die Mailänderfrauen wichtig “...daß jede Frau vor allem von sich und für sich selbst sprechen will und nicht mehr mit diesem oder jenem Problem identifiziert werden will, daß sie von sich und für sich selbst sprechen und Gehör finden will, weil sie etwas zu sagen hat und nicht, weil sie in den Augen der anderen, seien es Frauen oder Männer repräsentativ für etwas steht.“ (Libreria delle donne di Milano, Wie weibliche Freiheit entsteht. Eine neue politische Praxis, S. 76)
Jede Frau sollte selber entscheiden können, was ihr bestimmte Gesetzesreformen gebracht haben, oder ob sie überhaupt „auf den Etagen der Macht mitmischen“ will. Oder ist es für einige immer noch nicht deutlich geworden, daß die gesellschaftlichen Verhältnisse und damit auch bestimmte Unterdrückungsstrukturen solange existieren, wie sie von denen, die darin leben, immer wieder hergestellt werden? So sollten auch Frauen die, schon von ihnen verinnerlichten männlichen Autoritätsstrukturen hinterfragen, eigene Strategien entwickeln und nicht blindlinks die, von den Männern imitieren. (...) Entgegen der Meinung von Heide Soltau erscheint mir die Theorie der Italienerinnen als wenig abstrakt und demhingegen sehr praxisbezogen: Hier wird eine authentische Politik propagiert, die die vielen Erfahrungen, Möglichkeiten und Unterschiede der Frauen einbezieht, während die Politik, die sich auf ein Einheitsziel stützt, eine Leere hinterläßt, die vom ideologischen Feminismus gefüllt wird. Die Erfahrungen in der Realität sollen in Wissen über die Realität verwandelt werden.
Die Einheit, die aufgrund der Gemeinsamkeit, weiblichen Geschlechts zu sein, geschaffen wird, nimmt Frauen Handlungsmöglichkeiten, die bestehenden gesellschaftlich -politischen Verhältnisse zu ändern. Bedürfnisse und unterschiedliche, inhaltliche Standpunkte einzelner Frauen und Gruppen gehen darin unter oder werden ganz ausgeschlossen. Das Verständnis, das aufgrund vereinheitlichter, (gemeinsam erlebter) Unterdrückung entsteht, schafft einen Rahmen, in dem die Bedingungen subjektiv erfahrener Unterdrückung und die unterschiedlichen Ursachen hierfür nicht analysierbar sind.
„Die wahre Bedeutsamkeit der sexuellen Differenz wird“, laut der Mailänderfrauen „dadurch freigesetzt, daß die Ungleichheit zwischen Frauen in der Praxis gelebt wird...“ (S. 137) Heide Soltau führt das in ihrem Artikel noch näher aus, also zum Beispiel eine andere Sicht- und Interpretationsweise, sowie eine andere Art des Umgangs miteinander. Das ist ihr aber zu abstrakt. „Abstrakt“ aber steht für etwas, was keinen unmittelbaren Bezug zur Realität hat. Das läßt bei mir die Frage aufkommen, was überhaupt ihre eigene Praxis ausmacht, und mein Verdacht muß sich spätestens an dieser Stelle verhärten, ob diese Theorie von ihr überhaupt eingehend studiert und auch verstanden wurde. (...)
Außerdem möchte ich auf den Artikel „Grundsätze eines neuen Rechts“ vom 6.4.89 verweisen, der zum Teil über das Buch berichtete. Darin wurde schon erwähnt, daß es sich um eine Weiterentwicklung bereits gelebter Autonomie und Freiheit handelt und keineswegs um ein Drücken vor den „Frösten der Freiheit“. Es muß natürlich offen bleiben, ob es nicht noch andere Möglichkeiten und Entscheidungen gibt, wie weibliche Freiheit entsteht; sie ist alleine durch praktisches Handeln realisierbar. Die Theorie der Mailänderinnen vermittelt aber eine Perspektive und Hoffnung hierfür. (...)
Jutta Nolte, Hannover
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen