: Alles ist ein wenig oversized
Der 1. Europacup für Skateboardfahrer in der Essener Grugahalle: Ein bißchen Laufsteg, Sport und Disco ■ Von Fred Schywek
Süße Dämpfe entfleuchen den gläsernen Duschkabinen. California-Gras erster Güte schwängert die Luft. So feiern Europameister. Doch blenden wir zurück in die harten Tage vor dem Gewinn der Goldenen Skateboard Achse.
In der Halle 2 der Messe Essen liegen noch die letzten Misthaufen der Pferdemesse Equitana. Doch schon haben sich neue Besucher hier eingefunden, die die Strohballen kunstvoll umkurven. Mit einem 16 Zentimeter breiten Brett und vier Rollen unter den Füßen. Kosten der gesamten Ausrüstung: circa 250 Mark. In die Hosenbeine sind Fledermausfiguren eingewebt, und die Baseballkappen schillern in allen Farben des Regenbogens. Die Skater sind los.
Ein Trainingstag vor dem Europacup 1989, ausgefahren am Sonntag in der Grugahalle. Das Motto: Essen auf Rädern. Dort, wo sich der Mitveranstalter TuSEM Essen (der die einzige Skateboard-Abteilung der BRD unterhält) sonst die Handbälle zuwirft, werden 150 Aktive aus ganz Europa um den Titel des Meisters rollen und springen, liptricken und planten, wie es in der Fachsprache heißt.
In der Halle wimmelt es wie auf einem Ameisenhaufen. Kreuz und quer schießen die Skater den Trainingsrampen entgegen. Erstaunlich, es kommt zu keinem Zusammenprall. Wie von Geisterhand und mit enormer Körperbeherrschung wenden die Cracks einen Zusammenstoß im letzten Augenblick ab. Die Narben und Wunden an den Beinen stammen meist von mißglückten Kunststückchen.
Neulinge werden vom Veranstalter Martin Magielka, Besitzer des „Rap X Skate Shops“, über den Modus aufgeklärt. „Die Europameisterschaft teilt sich in drei Disziplinen. Beim Streetstyle muß ein Hinderniskurs bewältigt werden, beim Freestyle werden Figuren ähnlich wie beim Eiskunstlauf mit Musik gefahren. Allerdings nicht zum Schwanensee, sondern zu hartem Trash.“ Was den Skifahrern die Abfahrt ist den Skatern ihr Wettbewerb in der Halfpipe: die Königsdiziplin. In der zwölf Meter langen und drei Meter hohen Halbröhre werden die Profis aus den USA, England, Brasilien, selbst der CSSR, beim offenen Europacup aufeinandertreffen. Der Höhepunkt für die 5.000 Zuschauer ist die Kunstfigur „McTribe“: eine Drehung um 540 Grad über den Rand hinaus, und dann wieder hinein in den Graben.
„Jetzt kommt die Creme de la Creme ins stadium“, ruft der Hallensprecher, und löst eine sofortige Jagd nach Autogrammen aus. Der Wettbewerb ist in vollem Gange: Oversized kids, oversized jeans, oversized Geldbörse. Am Eisstand: „Kannst du mir mal hundert Mark leihen.“ - „Wenn ich sie am Mittwoch zurückkriege.“ Der Stand von Karstadt hat den größten Zulauf, er liegt rund zehn Mark unter dem allgemeinen Preisniveau. Die Verkäuferin hat eine Baseballmütze in den Nacken gedreht. Der dicke Bauch des Abteilungsleiters steckt in einem Vision-T-Shirt mit Totenkopf.
Die Luft in der Grugahalle kann man in Scheiben schneiden. „So, das war der erste run in der second elimination. Noch ten seconds, Aaron.“ Aaron Deeter aus USA, Südstaatengesicht, rollt über den Holzboden wie ein waidwunder Elefant; das Gesicht verkrampft sich schmerzverzerrt. Das Knie. „Come on, Aaron, beiß die Zähne zusammen. Zeig den Leuten, was ein guter Amerikaner ist!“ Unterstützung kommt vom Disc-Jockey. Musik von den Ramones und Jimi Hendrix: Purple Haze. Nur darauf kann Lucian Hendricks, ein anderer aus der süßen Wolke.
Dann heißt es „ein paar Sanitäter zur Halfpipe“. Ein Teil der Regenbogenkappen drängt, einen Blick zu erhaschen. Der Rest hängt schon wieder am Tropf. Offizieller Colaverbrauch: 1.200 Liter.
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