: Heimliche Visumpflicht für Asylkinder
Amtliches Schreiben belegt: Deutsche Botschaft sorgt für die Rückweisung von asylsuchenden Kindern / Fluggesellschaften werden falsch informiert / Ohne Rechtsgrundlage geplante Visumpflicht schon eingeführt ■ Von Vera Gaserow
Berlin (taz) - Ohne rechtliche Grundlage und ohne Zustimmung des Parlaments hat die Bundesregierung die erst geplante Visumpflicht für ausländische Kinder in der Praxis bereits eingeführt. Das geht unmißverständlich aus einem Schreiben der deutschen Botschaft in Sri Lanka hervor, das der taz jetzt vorliegt. In diesem vom 20.Februar datierten Brief rät die deutsche diplomatische Vertretung in Colombo sämtlichen Fluggesellchaften in aller Dringlichkeit, alleinreisende Kinder nur noch mit einer schriftlichen Genehmigung der deutschen Botschaft und einer „zuständigen deutschen Behörde“ in die Bundesrepublik zu fliegen. Diese schriftliche Zustimmung, die laut Rundschreiben der Botschaft den auf deutsch geschriebenen Satz „Gegen die Einreise bestehen keine Bedenken“ enthalten muß, unterscheidet sich faktisch jedoch nicht von einem Visum. Von einer solchen Visumpflicht sind jedoch Kinder unter 16 Jahren bisher ausdrücklich befreit.
Im März dieses Jahres hat das Bundeskabinett zwar beschlossen, angesichts der wachsenden Zahl asylsuchender Kinder auch für Minderjährige eine Visumpflicht einzuführen. Dafür müßte jedoch der Paragraph 2 Absatz 2 des Ausländergesetzes geändert werden, der festlegt, daß ausländische Kinder keinerlei Einreise- und Aufenthaltsbeschränkungen unterliegen. Eine solche Änderung des Ausländergesetzes bedürfte jedoch der Zustimmung der parlamentarischen Gremien des Bundestages, die bisher nicht erfolgt ist.
Im Auswärtigen Amt räumte man gestern auf Nachfrage der taz ein, daß „im Vorfeld einer sich ändernden Rechtslage“ in Absprache mit dem Bundesinnenministerium eine „Überprüfung“ der Einreisevoraussetzungen für ausländische Kinder stattfindet. Dabei werden „in der Tat ähnliche Voraussetzungen geprüft, wie bei einer Visaerteilung“. Diese Auskunft des Außenministeriums spricht dafür, daß solche Anweisungen nicht nur an die Fluggesellschaften in Sri Lanka ergehen, sondern auch an andere Länder, aus denen zur Zeit verstärkt alleinreisende Kinder fliehen wie beispielsweise aus dem Iran.
Um die „Kinder-Asylanten“ schon im Heimatland zu stoppen, füttert zumindest die deutsche Botschaft in Colombo die Fluggesellschaften auch mit falschen Informationen über das bundesdeutsche Asylrecht. „Trotz der Tatsache, daß Kinder unter 16 Jahren kein Visum zur Einreise in die Bundesrepublik benötigen“, heißt es in dem Rundschreiben vom 20.Februar, „sind die Grenzbehörden berechtigt, die Einreise von Kindern zu verweigern, die nicht die erforderlichen Papiere besitzen.“ Das ist zwar eindeutig gelogen, verfehlt aber bei den Fluggesellschaften nicht die gewünschte Wirkung: Nach Informationen von amnesty international in Bonn mehren sich die Fälle, in denen Fluggesellschaften in Sri Lanka Kindern überraschend die Tickets verweigern, obwohl der Flug schon längst gebucht und bezahlt war. Das jetzt vorliegende Rundschreiben der deutschen Botschaft ist für amnesty der Beweis für den langgehegten Verdacht, daß deutsche Behörden ausländischen Fluggesellschaften die Order gegeben haben, alleinreisende Kinder zurückzuweisen. Amnesty äußerte sich gestern „befremdet“ darüber, „wie hier im Vorgriff auf geplante Gesetzesänderungen geltendes Recht unterlaufen und gefährdete Kinder an der Ausreise gehindert werden“.
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