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Genschers Rapport in Washington

Bundesregierung wirbt für Verhandlungen über den Abbau atomarer Kurzstreckenraketen / Chancen stehen schlecht / Bush und Thatcher wollen Genscher abblitzen lassen / Kohl zwischen den Stühlen  ■  Aus Genf Andreas Zumach

Im Rahmen einer dreistündigen Stippvisite in Washington bemühten sich gestern Außenminister Genscher und Verteidigungsminister Stoltenberg um einen Kompriß im Streit um die Aufrüstung atomarer Kurzstreckenraketen. Dabei geht es vorrangig darum, wie beide Seiten innenpolitisch ihr Gesicht wahren und gleichzeitig die Verabschiedung eines neuen Nato-Gesamtkonzeptes ermöglichen können. Die kurzfristig anberaumten Gespräche mit ihren US-Amtskollegen Baker und Cheney sowie mit Präsident Bushs Sicherheitsberater Scowcroft dauerten bei Redaktionsschluß noch an. Bis zur Erzielung und Verkündung eines Ergebnisses bedarf es möglicherweise weiterer Verhandlungen zwischen Bonn und Washington sowie der für kommenden Sonntag in Deidesheim geplanten Begegnung zwischen Bundeskanzler Kohl und der in der Kurzstreckenfrage voll auf US-Linie liegenden britischen Premierministerin Thatcher. Nach der Forderung der Bonner Koalition, die Nato solle „im Rahmen des Gesamtkonzeptes einen Auftrag für die baldige Aufnahme von Verhandlungen“ sowohl über die Kurzstreckenraketen wie über die atomare Artillerie erteilen und der ebenso eindeutigen Festlegung Washingtons und Londons gegen derartige Verhandlungen ist der Spielraum äußerst gering. US -Verteidigungsminister Cheney bekräftigte gestern noch einmal, Verhandlungen kämen zur Zeit nicht in Betracht, da sonst die Denuklearisierung Europas drohe.

Als Kompromiß ist denkbar, daß die Nato im Rüstungskontrollkapitel des „Gesamtkonzeptes“ ihre grundsätzliche, zeitlich nicht konkretisierte Bereitschaft zu Verhandlungen über diese Waffen erklären, ohne jedoch einen konkreten Auftrag für deren Aufnahme zu erteilen. Das wäre eine weitere Aufweichung der ursprünglichen Genscher -Forderung nach „sofortiger Verhandlungsaufnahme parallel zu den Wiener Verhandlungen über konventionelle Streitkräfte“, die in der Koalition bereits an der CSU und Teilen der CDU scheiterte. Möglicherweise verlangen Washington und London als Gegenleistung eine ausdrückliche Absage im „Gesamtkonzept“ an eine „dritte Null-Lösung“. Unter Verweis auf entsprechende Beschlüsse der Nato-Außenminister im Juni '87 sowie der Regierungschefs im März '88 hatte Genscher in einem Interview mit dem Deutschlandfunk vor seinem Abflug nach Washington gestern morgen noch einmal auf Verhandlungen bestanden und eine „dritte Null-Lösung“ als deren Ergebnis nicht ausgeschlossen. Der SPD-Politiker von Bülow warf den USA in der 'Neuen Osnabrücker Zeitung‘ mangelnde Einsicht in die Notwendigkeit weiterer Abrüstungsschritte vor. Hinweise auf Reduzierung der US-Truppen, falls die neuen Atomraketen nicht stationiert würden, seien „Erpressung“.

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