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Sakuth: Wanderkessel war in Ordnung

■ Innensenator legt Berufung gegen Verwaltungsgerichts-Urteil zu rechtswidrigen Polizeiaktionen und verfassungswidrigem Bremer Polizeigesetz ein / Amtsvorgänger Volker Kröning hätte Urteil „nicht ohne Not angegriffen“

Bremens Innensenator Peter Sakuth ist nach wie vor sicher: Die „einschließende Begleitung“ einer Demonstration gegen amerikanische Munitionstransporte am 2. Juli 1985 durch die Polizei und die umfassende Video-Observation der Demonstranten war „rechtens“. Daran ändert für den Innensensator auch die Tatsache nichts, daß drei Bremer Richter absolut entgegengesetzter Meinung sind: In einem vor fünf Wochen veröffentlichten Urteil hatte das Verwaltungsgericht entschieden: Der polizeiliche „Wanderkessel“ war ebenso rechtswidrig wie die Film- und Foto-Aufnahmen der Demonstrationsteilnehmer. Obendrein hatte das Gericht erhebliche Zweifel an der Vereinbarkeit von Grundrechten und Bremer Polizeigesetz angmeldet. Nach Auffassung des Gerichts wäre der Paragraph 30 des Polizeigesetzes, mit dem die Polizei seinerzeit die Video -Überwachung der Demonstration rechtfertigte, „bei undifferenzierter wörtlicher Auslegung mit Artikel 8 des Grundgesetzes unvereinbar“. Der Paragraph lautet: „Der Polizeivollzugsdienst darf in öffentlichen Versammlungen personenbezogene Daten erheben, wenn er sich ... zu erkennen gegeben hat.“ Eben das darf er nach Auffassung der Verwaltungsrichter nicht. Er würde damit nämlich einen „unzulässigen materiellen Eingriff“ in das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit vornehmen.

Darüberhinaus bescheinigt das Gericht dem Bremer Gesetzgeber einen geradezu dilettantischen Anfängerfehler bei der Verabschiedung des Polizeigesetzes 1983: Wenn schon Grundrechte eingeschränkt werden, muß das eingeschränkte Grundrecht zumindest im Gesetzestext zitiert werden. Auch das hat der Bremer Gesetzgeber versäumt. (vgl. taz. v. 25.3.)

Fünf Wochen nach Veröffentlichung des Urteils hat sich Innen

senator Sakuth jetzt überlegt, daß er es vorzieht, in allen Punkten ganz anderer Meinung als die Bremer Richter zu sein, und am vergangenen Dienstag Berufung gegen das Urteil eingelegt. Für Sakuth war nicht nur die „einschließende Begleitung“ rechtens, sondern ist auch das Bremer Polizeigesetz völlig in Ordnung und räumt dem Datenschutz „hohe Priorität“ ein. In einer Presseerklärung meldete Sakth dagegen „Bedenken gegen die Argumentation des Verwaltungsgerichts“ an. Welche, war auch auf Nachfrage nicht zu erfahren. Sie sollen im Rahmen der Berufungs -Begründung erst noch gefunden werden. (Was Sakuths Hausjuristen wahrscheinlich noch vor einige Probleme stellen wird: Sie müssen dem Oberverwaltungsgericht einerseits die verfassungskonforme Liberalität des Polizeigesetzes nachweisen und es auf der anderen Seite gleichzeitig von der Rechtmäßigkeit der lückenlosen Filmüberwachung einer friedlichen Demonstration überzeugen). Klar ist für den Innensenator allerdings schon jetzt: Für eine „übereilte Änderung des Bremischen Polizeigesetzes“ sieht Sakuth „keinen Anlaß“.

Ganz anderer Meinung ist da der Datenschutzexperte der SPD -Bürgerschaftsfraktion, Horst Isola. „Wir müssen jetzt an die Novelle des Polizeigesetzes ran“, verriet Isola gegenüber der taz. Auch vom Innensenator hat Isola inzwischen Konsequenzen aus dem Bremer Urteil gefordert. Eine Überarbeitung des Polizeigesetzes hält Isola auch aus einem weiteren Grund für längst fällig: Nur wenige Monate nach der Verabschiedung des Polizeigesetzes in der Bürgerschaft, erging in Karlsruhe Ende 83 das Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgericht. Das dort ausdrücklich geschützten „Recht auf informationelle Selbstbestimmung“ will Isola jetzt endlich auch im

Bremer Polizeirecht umgesetzt wissen. In der Umsetzung des Volkszählungsurteils sieht Isola - im Gegensatz zu Innensenator Sakuth - in Bremen „einigen Nachholbedarf, auch im Polizeigesetz“.

Auch Justizsenator Volker Kröning, 1985 noch Innensenator

und seinerzeit verantwortlich für den damaligen Polizeieinsatz gegen die Munitionszug-Demonstration, ist nach Volkszählungurteil und „Hamburger Kessel“ inzwischen „sensibilisiert“ für die Problematik polizeilicher Datenerhebungen, z.B. bei Demonstrations-Einsätzen, und will in

diesem Punkt „Mängel“ des Bremischen Polizeigesetzes „nicht ausschließen“: „Es ist gut möglich, daß das eine oder andere geradegerückt werden muß“. Auch eine „Panne“ bei dem vom Gericht gerügten Zitiergebot hält Kröning für möglich. Den Polizeieinsatz selbst, den Kröning als

zuständiger Senator 1985 noch selbst in der Bürgerschaft verteidigen mußte, sieht er heute zumindest als „Grenzfall“: „Ich bin da inzwischen sehr nachdenklich geworden.“

Gerade Kröning muß es wissen. Zusammen mit dem damaligen SPD-Abgeordneten und späteren Senatsdirektor im Innenressort, Waldemar Klischies, gilt Kröning, der 1983 noch in der Bürgerschaft saß, als einer der „Architekten“ des Polizeigesetzes, das die Bremer SPD seinerzeit als Vorbild einer liberalen Rechtsgrundlage für polizeiliches Handeln lobte und nach heftigen Deabtten gemeinsam mit der FDP im Parlament durchsetzte.

Krönings Kommentar zur Entscheidung seines Amtsnachfolgers Sakuth, gegen das Verwaltungsgerichtsurteil Berufung einzulegen: „Wenn ich dazu gefragt worden wäre, ohne Not hätte ich dieses Urteil nicht angegriffen.“ Gefragt worden ist Kröning allerdings nicht. Die Entscheidung seines Amtsnachfolgers, jetzt die Oberverwaltungsrichter mit Polizeieinsatz und Polizeirecht in Bremen zu beschäftigen, erfuhr Kröning nicht im vorhinein von Sakuth, sondern im nachhinein von der taz.

K.S.

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