: Unbemanntes Rendez-vous mit der Venus
■ Dieses Jahr will die Nasa ihr bereits für 1986 geplantes „Jahr der Weltraumforschung“ nachholen
Nach 10jähriger Unterbrechung plant die Nasa dieses Jahr, die Erforschung der Planeten fortzusetzen. Dazu startet sie heute die Shuttle „Atlantis“ mit der Raumsonde Magellan im Gepäck, die zur Venus fliegen soll, um erstmals ein komplettes dreidimensionales Profil des Nachbarplaneten zu zeichnen. Insgesamt sieben Shuttle-Flüge dieses Jahr, zehn im nächsten und 100 in den 90iger Jahren sollen helfen, den sowjetischen Vorsprung bei der Eroberung des Weltraums aufzuholen.
Weißbekittelte Personen drängen sich in der Nasa-Zentrale bei Housten um einen Tisch, auf dem ein kleiner, mit Erde gefüllter Topf steht. Andächtig starren die Nasa -Wissenschaftler auf die aus dem feuchten Erdreich sprießende Spargelspitzen. „Und“, fragt jemand. Die Kollegin, die vor dem Spargel kniet, läßt das Meßinstrument sinken: „Es ist unglaublich. Er schwingt. Die Venus bringt ihn zum Schwingen!“ Begeistert fangen die WissenschaftlerInnen in dem steril eingerichteten Saal an zu klatschen. Warum? Kosmische Schwingungen sind gerade der letzte Schrei bei den Nasa-Experten. In ihrem Bemühen, eine Wiederholung der Challenger-Katastrophe vor drei Jahren zu vermeiden, greifen sie sogar auf altes Druiden-Wissen zurück: Am Freitag macht die Venus ihren verzaubernden Einfluß auf die Erde geltend. Gerade rechtzeitig zum „Tag der Venus“ startet die Nasa deshalb heute ihre Shuttle „Atlantis“. Im Gepäck hat sie die Raumsonde Magellan, die von der Erdumlaufbahn aus zum Planet der Liebesgöttin fliegen soll. Im Schutze göttlicher Fürsorge wollen die US -amerikanischen Weltraumforscher dieses Jahr nachholen, was für 1986 vorgesehen war, aber nach der Challenger -Katastrophe auf Eis gelegt wurde: 1989 soll das „Jahr der Weltraumforschung“ werden. Nachdem die Nasa nach fast dreijähriger Unterbrechung mit drei Starts der Raumfähren Discovery und Atlantis Ende letzten und Anfang diesen Jahres beim Wettlauf ins All wieder Tritt gefaßt hat, gibt man sich jetzt gedämpft euphorisch: Siebenmal sollen die Raumfähren dieses Jahr starten (der heutige Start ist bereits der zweite). 1990 sind dann zehn Starts vorgesehen, und bis 1993 hofft man auf 14 Raumfährenstarts pro Jahr zu kommen. Insgesamt sind in den 90iger Jahren 100 Raumfährenflüge geplant. Ein ehrgeiziges Programm, schließlich gelangen der Nasa selbst in ihrem erfolgreichsten Shuttle-Jahr 1985 nur neun Flüge. Im „Challenger-Jahr“ waren 16 Flüge geplant. Doch bereits der zweite endete in einem Fisako: die Explosion der Raumfähre atomisierte nicht nur die siebenköpfige Besatzung sondern auch das Selbstvertrauen der Nation.
Wettlauf im All
Damals hatte die Nasa das Risiko einer Katastrophe lediglich mit 1:100.000 angegeben. Heute beziffern die Experten die Gefahr einer Wiederholung des Unglücks für jeden einzelnen Start auf 1:78. Mithin rechnet die Nasa damit, daß es beim Start einer Raumfähre innerhalb der nächsten zehn Jahre wieder zu einem Unfall mit tödlichem Ausgang kommt. Ein weiteres schweres Unglück aber, so befürchten Nasa -Mitarbeiter, könnte das Ende der bemannten US-Raumfahrt bedeuten. Deshalb greift die Nasa für Weltraumtransporte auch wieder stärker auf unbemannte Raketen zurück.
Angesichts der sowjetischen Erfolge im Wettlauf um die Eroberung des Alls glauben die US-amerikanischen Pioniere allerdings nicht, auf ihre Shuttles verzichten zu können. Mit Genugtuung wurde dann auch die Meldung aufgenommen, daß die drei Kosmonauten auf der sowjetischen Raumstation „Mir“ ihren Aufenthalt wegen elektrischer Störungen abgebrochen haben. Noch vor kurzem hatten die Sowjets ihre US -amerikanischen Kollegen mit der Ankündigung geschockt, bis Ende des Jahres ihre Raumstation zu einer regelrechten Weltraumbasis ausbauen zu wollen. Nach Rekordaufenthalten im All von mehr als einem Jahr und dem Start einer eigenen Raumfähre wäre ein weiterer sowjetischer Erfolg für die Nasa kaum mehr zu verkraften gewesen.
Der Wettlauf im All kommt den USA allerdings teuer zu stehen. Gab sich die Weltraumbehörde für das laufende Jahr noch mit knapp elf Milliarden Dollar zufrieden, so hat sie für das am 1. Oktober 1989 beginnende Finanzjahr eine Rekordsumme von über 13 Milliarden Dollar beantragt. Dazu kommt noch das Weltraumbudget der Airforce, das ganz erheblich über dem der Nasa liegt. Mit der heute startenden Sonde will die US-Weltraumbehörde endlich die seit fast zehn Jahren auch aus finanziellen Gründen verschobene Erforschung der Planeten fortsetzen. Der unbemannte Aufklärer Magellan soll nach einer Reise von 466 Tagen in eine Umlaufbahn um die Venus eintreten, um erstmals per Radar ein komplettes, dreidimensionales Profil der Oberfläche des Planeten zu zeichnen.
Die mehr als 20 sowjetischen und US-amerikanischen Sonden, die seit den 60iger Jahren zur Venus geflogen waren, scheiterten alle an der abweisenden Hülle des Planeten: Er ist von einer dicken Wolkendecke umgeben; der Druck der Atmosphäre ist 90mal stärker als der auf der Erde; auf der Oberfläche herrschen um die 500 Grad Celsius.
Die nach Expertenmeinung schwierigste Planetenmission der Nasa soll dann am 12. Oktober folgen. Die Atlantis wird die zweieinhalb Tonnen schwere Sonde Galileo auf eine Erdumlaufbahn schleppen, von der aus sie über einen Umweg zur Venus zum größten Planeten unseres Sonnensystems fliegen soll. Bei der Annäherung an Jupiter wird Galileo einen mit Meßinstrumenten bestückten Flugkörper ausstoßen. Während dieses Gerät am Fallschirm in den riesigen, rotwabbernden Malstrom des Planeten hinuntersinkt, werden seine Messungen laufend zur Sonde zurückgefunkt - bis es von der ungeheuer dichten Atmosphäre zerquetscht wird.
Blick zurück zum Anfang
Am Jahresende will die Nasa dann Anlauf zum großen Sprung in die Tiefen des Alls nehmen. Mit mehr als sechsjähriger Verspätung soll endlich das große Hubble Space -Weltraumteleskop in den Weltraum gehievt werden, von dem sich die Astronomen den Blick in die Anfänge des Universums erhoffen. Am 11. Dezember wird die Raumfähre Discovery das dreizehn Meter lange Teleskop mit einem Spiegeldurchmesser von 2,40 Metern und einem Gewicht von elf Tonnen in eine Umlaufbahn außerhalb der den Durchblick störenden Erdatmosphäre befördern. 14 Milliarden Lichtjahr weit statt bisher zwei wollen die Nasa-Forscher dann ins All kucken können. Da nach Meinung der meisten Astronomen unser Universum vor etwa 15 bis 20 Milliarden Jahren entstanden ist, als beim sogenannten Urknall eine einzige, geballte Masse explodierte, könnte man mit dem Super-Weltraumteleskop also womöglich die am weitesten entfernten Bruchstücke am Rande unseres Universums noch entdecken. Daraus, so die Hoffnung, wären dann weitere Rückschlüsse auf den Zeugungsakt möglich.
Aufklärung über die Anfangsperiode des Universums erwarten sich die Wissenschaftler auch von einem COBE-Satelliten, der bereits im Juli von einer Delta-Rakete in eine Umlaufbahn um die Erde geschossen werden soll. Mit empfindlichen Instrumenten werden sogenannte Mikrowellen -Hintergrundstrahlungen gemessen, die gegenwärtig als stärkster Beweis für die Entstehung des Universums mit einem „Big Bang“ gelten. Sie durchströmen den Weltraum in großer Gleichförmigkeit und werden als das „Nachleuchten“ des Urknalls interpretiert. Vor kurzem gelang Wissenschaftlern der US-amerikanischen Princetown-Universität bereits vom Südpol aus der Blick zurück an den Anfang. Sie untersuchten dabei das schwache Nachglühen der Urexplosion nach „heißen Flecken“, die ein Indiz für das Entstehen von Galaxien oder anderen großräumigen Weltraumgebilden in der Anfangsphase des Universums sein können. Von dem COBE-Satelliten erwarten sich die Ursprungsforscher eine Menge neuer Erkenntnisse, vor allem über die Prozesse, die etwa ein Jahr nach dem Urknall begonnen haben. Gespannt sind die Wissenschaftler auch auf die Daten, die die US-Raumsonde Voyager 2 zurück zur Erde funken wird. Nach Besuchen bei Jupiter, Saturn und Uranus wird das 1977 gestartete Raumfahrzeug im August Neptun umrunden, um Bilder von dem gespenstisch grünen Planten und seinem orangeleuchtenden Mond Triton zu machen. Aussteht dann nur noch ein Besuch bei dem am weitesten von der Erde entfernten Planeten Pluto. Alle anderen Planeten unseres Sonnensystems sind inzwischen von sowjetischen oder US-amerikanischen Spähern aus nächster Nähe untersucht worden. Trotz alledem: Die göttliche Offenbarung ist noch nicht eingetroffen. Bleibt zu hoffen, daß der 1972 zur Jupiter-Mission aufgebrochene US-Raumpionier 10 erhört wird; der einsame Botschafter hat inzwischen das Sonnensystem verlassen. Auf seinem Flug in die Unendlichkeit hält er treu Funkkontakt.
Michael Fischer
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