: Gottesdienst im schwarzen Leder
Herr, wenn ich mein Motorrad beschleunige, so fühle ich den Hauch Deiner Ewgikeit hier bitte das Foto mit der Bibel, bitte nur unten anschneiden ■
Foto: Jörg Oberheide
In den frühen Siebzigern, als die Engel der Hölle in unseren Metropolen eiserne Ketten schwangen, gab es einige wackere Pastoren, die sich zum schwarzen Leder hingezogen fühlten und zur Rettung der schwarzen Schafe ein Paradoxon ersannen: den Motorrad-Gottesdienst. Und in Kenntnis der Probleme, die ein martialisch gerüsteter Harley-Davidson-Klucklehead -Driver mit Gott oder gar Dienst hat, lockte der Klerus mit einer traditionsschweren Institution: dem Korso, einer Massenschaufahrt formierter Maschinen zum jeweiligen Ort des Anlaß-oder Abschluß-Gottesdienstes.
Das Unternehmen fand heftigen Anklang (in Berlin kommen regelmäßig Tausende zusammen) und Nachahmer im ganzen Wessiland, auch - seit 1987 - in Delmenhorst. Die Amtskirche hatte ein neues Feld für die Sorge um jugendliche Seelen gefunden.
So waren es am letzten Sonntag in Delmenhorst zwar nicht die fünfeinhalb Stadtrocker, die sich am Rathaus trafen, aber den versammelten ca. 180.000 Pferdestärken mochte man ein wenig Daumendrücken von Oben schon wünschen. Obwohl die Eitelkeit eher zu den läßlichen Sünden zählt, stimmte einen herumstehendes Material im Wert von etwa drei Millionen Mark doch nachdenklich, andererseits fuhren bei Start des Korso Detlev und Ewald, Diakone aus Stuhr und Brake, im schwarzen Amtsleder mit großvolumigen Maschinen voran.
Überraschenderweise entsprachen die Teilnehmer, die sogar aus dem Emsland, Hannover und Stade angereist waren, gar nicht dem Bild des „lonsome riders“, den unbändiger Freiheitswille in die Arme der Marlboro-Reklame treibt: mit 50-80 km/h ging's diszipliniert in Zweierreihe als ewiglanger Wurm durchs Oldenburgische, endlose PS lagen brach, gewaltige Drehmomente ungenutzt, windkanaloptimierte Verkleidungen blieben ohne Wind. Nur des Diakons Schäferhunde hetzten in einem fort nahe dem Schall vom Schwanz zum Kopf des Wurms und zurück, hielten die Herde beieinander, beruhigten entnervte Vierräder, die queren wollten, und leisteten heftigen Ordnungsdienst.
In der Bremer Innenstadt dann endlich das staunende Publikum, dessen Augen die schönsten Spiegel für Big Bikes, Trikes, Gespanne und Hyper-Sänften sind. Helm ab zum Drive -in-Gottesdienst auf dem Domshof: Eine Schülerband sang von young heroes, praise our God, hatte die Noten von We Shall Overcome leider vergessen. Die Aufforderung mitzusingen befolgten ein paar bewegte Mädchen; zuviel Bekenntnismut verlangt? Vielleicht etwas zu schlichte Worte wählten die Diakone zur Predigt, wenn sie ihre Botschaft in gnadenlosen Analogien verpackten: auch in der Panne bist Du nicht allein. Immerhin war ein erheblicher Teil der Andächtigen weit jenseits des Stufenführerscheins und mutmaßlich Pannen -Schutzbrief-Eigner.
Trotzdem hatte man den Eindruck, daß sich unter mancher schwarzen Pelle eine leise Ahnung von Jenseitigem verbarg, spürt doch der Motorradfahrer häufiger als der Normale den kühlen Hauch vom Sensemann im Nacken. Der Segen für die Saison fiel naturgemäß ganz protestantisch-dürftig aus: kein zischendes Weihwasser auf den heißen Motorblock, kein Christopherussticker für den Drehzahlmesser - ein irischer Reisesegen mußte es tun. Das ist aber auch wieder ausgefuchst, wenn man an den zu erwartenden norddeutschen Sommer denkt.
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