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■ Das Waiblinger Y-Theater (Dirk Dreißen und Thomas Ney) mit ihrer 1.Produktion „Traum-Haft“ im Lagerhaus

Alternatives Theater ist prima: Man ist vor jeder Überraschung sicher. Zum Beispiel vor der, vielleicht dieses eine (!) Mal nichts lernen zu müssen. Aber es gibt kein Erbarmen. Es ist wieder eine Parabel.

Fast überkömmt einen Sehnsucht nach La Fontaines guten alten Fabelraben und Lehrfüchsen, die mit ihren sauren Trauben und halben Käsen bloß den ganzen Menschen und eine einzige Wahrheit meinten. Das Kleintheater meint mehr.

In diesem Fall höhere Weltunordnung und menschliche Ordnung, Chaos und Aufräumwut; also dich und mich, vor allem dich. Da lacht das alternative Publikum, von Haus aus ordentlich, später aber chaosgeschüttelt in Wohn- und anderen Gemeinschaften. Seither steht Chaos für Lebenskunst.

Im 2-Mann-Theaterstück „Traum-Haft“ besteht das Chaos v.a. aus einer Menge zerknüllter Gedichtblätter, die sich auf dem Boden verteilen wie nach einem Schneekugelsturm. Auch anhand von Latten, Tischböcken und Tretleitern läßt sich schwer Faßbares leicht begreiflich machen. All diese Requisiten stehen für Lem, den Chaoten, den Dichterträumer, der Nicht -Aufräumen mit Inspiration verwechselt und, richtig, der vor liebenswürdiger Lebensfreude nur so platzt. Leider ist er einer unerwiderten Liebe zur Poesie verfallen, was uns mit Reimen konfrontiert wie „Kürzer, kürzer, da liegt der Würzer.“ (Publikum rast.)

Damit die Verse etwas zielgerichteter werden, hat man eine Prinzessin erfunden, die Lem ansingen kann. Und auf die gewartet wird wie weiland auf Godot. Das heißt: Sie kommt nicht. Ist ja auch absurd. Achso. Lem sagt: „Ebsörd“. (Publikum rast.)

Sein ganz in schwarz gehaltener Widerpart Prack ist ungeheuer blutleer und ein Pingel par excellence. Zur Strafe muß er hinken, Teufel auch! Der Lebensfeind ohne Freud‘ trachtet nun Mitbewohner Lem hinterherräumend nach dem Chaos.

Aber immer deutlicher dimmert es uns im Dämmerlicht: Chaos und Ordnung sind die zwei Seiten der gleichen Medaille. Damit auch mal was passiert, tritt ein himmlicher Beamter auf - fleischgewordener deus ex machina - und klärt Lem über seine von höchster Stelle verwechselte Identität auf: Eigentlich sei er Raumgestalter. Lem ab zum Raumgestalten, Prack einsam. Und siehe da: Ohne ein vertrautes Feindbild verpufft die Macke. Denn: Allein und unergänzt ist der Mensch nicht komplett.

Das spärliche Publikum ist heftig dankbar für die zugeworfenen Fleischstücke und weiß vom Clown-Workshop in der Toscana, wie schwer es ist, mit kaputtem Regenschirm auf einer Tretleiter zu balancieren. „Erst im Chaos gelangt der Künstler zur vollen Reife“ - ein Kernsatz des Stücks. Gut gemeint - aber die Gefahr liegt nahe, daß es Käse wird. Claudia Kohlhas

Sa. 20 Uhr Lagerhaus