: Grenzen des Denkens
■ Eine Studie über Massenmedien in Amerika
Edward Herman und Noam Chomsky sind der Meinung, daß Regierung und Big-Business die großen Medien Amerikas in der Tasche haben, und sie haben ein außerordentlich detailreiches Buch geschrieben, um es zu beweisen. Was ist daran neu, möchte man fragen. Aber man sollte weiterlesen, denn sie haben sich nicht nur mit der Gegenwart beschäftigt, die im übrigen darin besteht, daß 29 Gesellschaften die Hälfte der Medien in den USA kontrollieren und 'Times‘ und Warner gerade dabei sind, sich zusammenzutun, um weitere Lücken zu schließen. Ihre Untersuchung erstreckt sich vielmehr über die letzten fünfundzwanzig Jahre und erlaubt deshalb, einige langfristige Tendenzen aufzuzeigen.
Ganz besonders aufschlußreich ist ihre Analyse der Medien -Berichterstattung über den Vietnam Krieg, da man diese Zeit gerne - als Gegensatz zu heute verstanden - zur Sternstunde eines hartnäckig unabhängigen und liberalen Journalismus erklärt.
Herman und Chomsky zufolge unterliegen die Großmedien (d.h. 'The New York Times‘, 'The Washington Post‘ und die drei großen Fernsehanstalten) einer Art Selbstzensur, die der Tatsache entspringt, daß sie nicht über die Grenzen ihres Denkens hinauskommen. Während sie also bestimmte Positionen und Handlungen der Regierung stützen, stellen sie die grundlegenden Annahmen, denen diese Politik unterliegt, selten in Frage - zum Beispiel Annahmen wie „das amerikanische Demokratie-Modell ist ideal“ oder „Regierungspolitiker handeln im Interesse der Bürger“. Kritik ist, wenn sie kommt, darauf gerichtet, Versionen bestimmter Ereignisse zu korrigieren und greift nur äußerst selten grundsätzliche Vorstellungen und Meinungen an.
Daß die Bürger Amerikas in den letzten zweihundert Jahren alles andere waren als Revolutionäre, kann sicher kaum jemanden überraschen, ebenso wenig wie die Behauptung, daß der Zweck der Medien sei, Werte und Interessen derjenigen Reichen und Mächtigen zu stützen, die ebendiese Medien besitzen. Informationen, die zu Nachrichten werden, sagen Herman und Chomsky, gehen durch ein Propagandaraster, das aus fünf prinzipiellen Filtern besteht:
1. konzentrierte Presse in der Hand weniger, die es sich leisten können,
2. Werbung als Mittel zum Erhalt größtmöglicher Verbreitung,
3. Vertrauen auf regierungsamtliche und andere offizielle Quellen für rechtzeitige und glaubwürdige Informationen,
4. die Angst davor, Kontroversen und „negative Reaktionen“ hervorzurufen oder womöglich selber unter Beschuß zu kommen und
5. ein Denken, das alles in den Bezugsrahmen einer kommunistischen Bedrohung stellt.
Diese Filter genügen, um wohldefinierte Grenzen für Kontroverse und Dissens zu setzen, sie beschneiden den Kontext, in den Nachrichten gesetzt werden und konzentrieren Berichte bzw. definieren „die story“ auf einen eng begrenzten Realitätsausschnitt. Außerdem kreiren sie eine Doppelmoral, in der - beispielsweise - Opfer aufgeteilt werden in „ehrenhafte und nicht so ehrenhafte“. Der ermordete polnische Priester Jerzy Popieluszko gehört zur ersten Gruppe, Erzbischof Oscar Romero von El Salvador dagegen zu den „nicht so ehrenhaften“ Opfern.
Das Buch behandelt auch die Darstellung der Auslandspolitik durch die Medien und legt Fallstudien vor über Ereignisse in Mittelamerika, den Mordanschlag auf Papst Johannes Paul II. und die Kriege in Laos, Kamputschea und Vietnam. Besonders die Studie über die Medienbehandlung des Krieges in Vietnam ist interessant - wenn man die Behauptung der Autoren akzeptiert, die Medien und vor allem das Fernsehen seien oft für den Wandel der öffentlichen Meinung in den USA und schließlich für die Niederlage im Krieg verantwortlich gemacht worden.
Das Szenario, das sie zunächst ausbreiten, ist allzu bekannt, um noch in Frage gestellt zu werden: das Fernsehen, das Kriegsbilder zur Abendbrotzeit in Amerikas Stuben bringt; Abendnachrichten, die einem zum Kartoffelbrei das Massaker von My Lai servieren; das alles zusammen führt schließlich zu einer beispiellosen Politisierung einer bis dahin unpolitischen Bevölkerung (und, nebenbei gesagt, zu einer Orgie der Selbstgratulation in den Medien).
Herman und Chomsky argumentieren überzeugend, daß kaum etwas davon stimmt. Die Fernsehbilder vom Krieg waren bewußt verharmlosend; My Lai regte keinen weiter auf und wurde größtenteils zuerst ignoriert und und erst lange nach dem Geschehen wieder thema; statt dessen unternahm man heftige Anstrengungen, um oppositionelle Stimmen zu Randerscheinungen zu stempeln und Kritiker als „Verrückte“ abzuqualifizieren, mit denen die Phantasie durchgeht“. Zudem waren Regierungsberater und hohe Geschäftsleute die ersten, die ihre Illusionen über den Krieg verloren, als nämlich immer klarer wurde, daß ein Sieg nicht in Aussicht stand und die Kosten insgesamt zu hoch geworden sind. Bis heute existiert Vietnam im amerikanischen Bewußtsein - soweit es überhaupt existiert - ausschließlich als irgendwie amerikanische Angelegenheit: mit Vietnamveteranen, Angehörigen von Kriegsgefangenen oder als Objekt der Warnung für künftige Generationen.
Edward Herman, Politökonom am Wharton-Institut der Universität von Pennsylvania, und Noam Chomsky, Linguistik und Philosophieprofessor am Massachusetts-Institut für Technologie, werden sich mit ihrem Buch wenig Freunde machen und leider auch wohl ihre Gegner nicht überzeugen können. Obwohl sie gründlich recherchiert haben und mit großem Engagement schreiben, macht ihre Tendenz, im Text selbst starke Behauptungen aufzustellen, die dann nur in den Fußnoten etwas modifiziert werden, ihr manchmal in Schlachtrufe ausartender Ton, vor allem in ihren Antworten an frühere Kritiker, und die endlose Wiederholung des immergleichen Arguments des Text stellenweise zu einem regelrechten Gestrüpp, durch das man sich nur mit Mühe kämpft. Dennoch: Selbst wenn dieses Buch nur das Feld der Diskussion erweitern würde, wäre es schon wichtig genug. Aber es tut mehr. Es erinnert uns daran, daß die Hinnahme solcher Nachrichtengrenzen auf unsere eigenen Kosten geht, und auf Kosten einer wirklichen Denkfreiheit.
Nan Levinson
Manufacturing Consent: The Political Economy of the Mass Media, by Edward S. Herman and Noam Chomsky, New York, Pantheon Books, 412 Seiten, 14.95 Dollar (Paper); 24.95 Dollar (Leinen)
Die Autorin lebt als freie Journalistin in Boston, USA.
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