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AUSFLUGSDAMPFER UND KANONENBOOTE

■ Die griechische Dodekanes-Insel Kos rüstet sich für den Sommer

Norida Beach liegt nicht in Californien oder an der Küste Großbritanniens. Und obwohl es auch keine gemeinsame koloniale Vergangenheit mit dem britischen Königreich gibt, ist hier alles in englischer Sprache zu haben, wenn Sommer ist. Norida Beach ist der Name für ein Feriendorf an der Südküste der griechischen Dodekanes-Insel Kos. 1.200 Betten stehen hier am Fuße der höchsten Bergkette des Eilands, eingemauert in weiß getünchte Appartementzellen.

Doch noch gibt es hier gar nichts. Eine Scheibe ist eingeschlagen, die Vorhänge des Hauptgebäudes sind zusammengeknotet, der „Supermarket“ ist geschlossen. Die Gebäude zwischen Kiesstrand und kahlen Felsen sind verlassen, nur ein paar Bauarbeiter sind am Werk. Die letzten Aufräumungsarbeiten vor der Feriensaison haben begonnen.

Ein paar Kilometer weiter westlich gibt es Sand statt feiner Kieselsteine. Hier liegt Kardamena. Der Strand ist nicht besonders schön, das Wasser dafür kristallklar. Mit 1.300 Einwohnern übertrifft die Stadt nur knapp die Bettenzahl von Norida Beach. Aber „im Sommer leben hier 12.000 Menschen“, sagt Emilia Vissariti, die seit sechs Jahren eine kleine Pension betreibt. Vier Zimmer hat sie zu vermieten, in der Hochsaison wird kurzerhand der Sohn ausquartiert, dann sind es fünf. Ihre beiden Töchter haben geheiratet und leben nicht mehr hier. * * *

Bei 20 bis 25 Grad im Schatten hüllen sich die Griechen in Wollpullis und dicke Jacken. Viele Restaurants und „Tourist shops“ sind noch geschlossen, aber im Supermarkt ist die Auswahl schon international: Bier aus Belgien, Milch aus der Bundesrepublik, und den griechischen Joghurt gibt es auch bei Karstadt in Berlin-Wedding. Die Spuren eines langen Winters müssen beseitigt werden, in den Gassen klopft und hämmert es.

Kardamena ist die größte Baustelle auf der Insel. Unzählige Rohbauten aus Stahlbeton umzingeln den Ort, und es scheint nur noch eine Frage der Zeit zu sein, bis die östlichen Ausläufer Norida Beach erreichen. Einen freien Vermietungsmarkt gibt es hier im Sommer so gut wie nicht. Die Zimmerbesitzer melden ihre Kapazität an multinationale Agenturen, die Ferien komplett verkaufen. Flugzeuge kommen dann direkt aus London-Gatwick, Manchester, Leeds, Glasgow. Aber auch von München, Düsseldorf und Frankfurt bestehen im Sommer non-stop-Verbindungen. * * *

Mit dem Bauboom gelang es, die Inselflucht zu stoppen. Viele junge Leute sehen eine Zukunft im Geschäft mit den Touristen und wandern nicht aufs Festland ab. Mit fast 20.000 Einwohnern hat sich Kos gut gehalten.

Kos ist die zweitwichtigste Insel der Dodekanes-(Zwölfer -)Gruppe. 220 Seemeilen südöstlich von Athen läuft die Fähre Piräus-Rhodos regelmäßig auch Kos an. 16 Stunden braucht der Dampfer, mit dem Flugzeug sind es 40 Minuten. Die Insel zählt zu den grüneren Flecken in der Ägäis, das Trinkwasser muß aber von über 150 Meter Tiefe heraufgepumpt werden. Bauboom und die Pflicht, die karge Nachbarinsel Kalymnos im Sommer mit Wasser zu versorgen, machen ein Vordringen in immer tiefere Schichten notwendig.

Weite Teile der Insel sind von Erosion gebeutelt. Auf den Hochflächen bieten Gräser und dornige Büsche Lebensraum für Schildkröten und Eidechsen, die in den aus Muscheln gepreßten Kalkstein ihre Höhlen graben. Bäume können hier nicht mehr Fuß fassen.

Da werden die Touristen lieber auf die Antike verwiesen. So soll der berühmte Arzt Hippokrates 460 vor Christus auf Kos das Licht der Welt erblickt und später seine Lehren unter einer noch heute zu besichtigenden Platane weitergegeben haben. Der Kult um den „ältesten Baum Europas“ gilt einem ausgemergelten Gehölz auf Stützen, dem heute auch kein Hippokrates mehr helfen könnte. Daneben zeugen zahlreiche Ausgrabungsfelder und alte Gebäude von der bewegten Vergangenheit der Insel.

Zwei, drei Minarette in der Hauptstadt, die auch Kos heißt, erinnern an die Herrschaft des osmanischen Reichs, die fast 400 Jahre dauerte. Unter Sultan Suleimann eroberten die Türken 1523 die Dodekanes-Inseln und verloren sie erst wieder im Balkankrieg von 1912.

Heute ist Kos an der Ostspitze von der türkischen Kerme -Bucht umschlossen, an der engsten Stelle nur durch eine drei Kilometer breite Wasserstraße getrennt. Das ist näher als zu irgendeiner griechischen Nachbarinsel. Kaum verwunderlich, daß es kulturelle Übereinstimmungen zwischen den verfeindeten Nationen gibt. So beispielsweise in der Musik: Wenn nicht gerade Rick Astley oder Kim Wilde aus den Lautsprechern dröhnt, haben die Lieder einen deutlich hörbaren orientalischen Einschlag. Es ist sogenannte „Inselmusik“, die mit den harmonischen Bouzoukiklängen Nordgriechenlands wenig gemein hat. Die Griechen sind dennoch nicht gut zu sprechen auf ihre Nachbarn: „Nicht sehr saubere Leute“, heißt es überall, sollen 15 Kilometer weiter östlich im anatolischen Bodrum wohnen. Zwar überqueren täglich mehrere griechische und türkische Boote die Meerenge, aber Charterurlauber kann die ohnehin nicht billige Überfahrt teuer zu stehen kommen. Eine Touristen -Beraterin in Kos warnt eindringlich vor einem türkischen Stempel im Reisepaß, der zum Verlust des Rückflugs führen könne. Griechische Behörden verstehen keinen Spaß, wenn die für Hellas bestimmten Reisenden ihre Devisen an den asiatischen Ufern der Ägäis ausgeben. Ein Personalausweis wirkt hier Wunder. Er reicht zur Einreise in beide Länder aus, läßt aber keine Eintragungen zu.

Trotz soviel Mißgunst und nahezu täglicher Zeitungsmeldungen über kleinere Grenzzwischenfälle ist das Bild von Ausflugsdampfern geprägt, nicht von der Kriegsmarine. Ein paar graulackierte Kanonenboote liegen im Hafen von Kos vor Anker; auf dem Hochplateau im Inselinneren, wo schon Vorfahren ein - heute verfallenes Kastell errichtet haben, markieren Zäune militärisches Gelände. Fotografieren verboten. * * *

Keine Probleme haben die Dodekanes-Griechen dagegen mit anderen ehemaligen Besatzern. Von 1912 bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges waren die Inseln in italienischer Hand. „Wir verstehen uns gut mit den Italienern“, sagt Frau Vissariti in fließendem Italienisch. „Es kommen aber nur wenige Urlauber zu uns.“ Zurückgelassen haben die Italiener Straßen, Amtsgebäude, das Christentum und Spaghetti, die neben Fisch zur Hauptspeise aufgestiegen sind. Ältere Einwohner, die eine Schule besucht haben, sprechen mehr oder weniger gut die Sprache.

Dagegen ist mit Deutsch nicht viel auszurichten: „80 Prozent aller Urlauber hier sind Engländer“, schätzt George Valinakis, der örtliche Tourismusmanager. Der 42jährige Grieche war zwölf Jahre lang in den USA und studierte dort Hotelwirtschaft. Seit 1977 ist er wieder auf Kos und leitet die Touristen-Information in Kardamena mit sieben englischen Angestellten. Die bleichen Briten fallen auf im Ort, noch ist es vor Saisonbeginn. Im April geht es normalerweise los, dann aber „sieben Monate lang, sieben Tage die Woche“, wie ein schon im voraus gestreßter Restaurantbesitzer stöhnt. Tische und Stühle stehen kreuz und quer. Noch sind es drei Tage, bis der erste Flieger aus England eintrifft. Bid dahin muß das Restaurant auf Hochglanz sein.

Rolf Westermann

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