: Badewanne und Terreur
■ 1789/1989 - eine Revolutionsausstellung in der Staatlichen Kunsthalle Berlin
Alexander Smoltczyk Frimaire
Ach, wie leicht war es, die Bastille zu stürmen - wie schwer, die Welt nach neuer Ordnung einzurichten. Das Pendel der republikanischen Uhren hatte jetzt den Tag in 100.000 Sekunden zu teilen statt der 86.400 des Ancien Regime. So mußte es, wie dem „Doppelten Ziffernblatt zum Vergleich der Moderne mit dem Alten“ zu entnehmen ist, auf 99 Centimeter (3 Fuß, 8 1/2 Zoll) verkürzt werden, um mit der neuen Zeit Schritt halten zu können: „Das doppelte Ziffernblatt soll allen Citoyens von Nutzen seyn, besonders aber den Beamten und öffentlichen Angestellten, die ihre Zeit gemäß dem Artikel XI des Gesetzes vom 4. Frimaire des Jahres II und Artikel I vom 23.Fructidor des Jahres IV der dezimalen Zeit anpassen müsse.“ So schwierig ist - das lehrt uns Monsieur Gaumes praktisches Ziffernblatt - eine Revolution, die den Dingen ihr natürliches Maß zurückgeben will, nachdem sie die Verhältnisse zum Tanzen gebracht hat.
Gleich gegenüber an der weißen Wand windet sich die Garonne schlangengleich durch Bordeaux, weiß nichts von Erkenntnis und mathematischer Rationalität, der sie als Kind der Natur doch gleichfalls unterworfen ist. Also rasch die Tangente angelegt und eine Stadt gegründet: die Bürger Architekten Laclotte und Rieutard schlagen in ihrem „Nationalen Plan“ ein Dreieck über die Garonne, und weil wir schon den 21.Fructidor des republikanischen Jahres V schreiben, sind dessen Schenkel gleich lang und brauchen sich keinen gütigen Monarchen mehr ins Zentrum oder an die Spitze zu stellen. Nein, die Winkelhalbierenden des neuen Stadtplans schneiden sich im „Platz des Sieges“ und über dem „Platz des Volkes“, während an der Spitze harmlos ein „Französischer Genius“ auf seiner Säule flattert. Die neue Stadt auf den Resten des abzutragenden Chateau-Trompette, mit Wohnhäusern, Festplätzen und Monumenten, liegt licht und klar, kein Schatten soll auf sie fallen - und helle Köpfe werden in ihr wohnen. Fructidor
Die Natur, das zeigen die Graphiken der Berliner Revolutionsausstellung, wurde den Umstürzlern in den Jakobiner- und Girondistenklubs nie zum Problem. Wie die Gesellschaft war sie Teil einer universalen Ordnung - und deswegen Schwester, nicht Feindin. Und als Schwester auch erziehbar für den, der wie die Patrioten der Jahre I ff. bereits die Menschenwelt nach universalen Prinzipien ordnete. Eine bloße Behauptung? Keineswegs: „So hat die Sonne an demselben Tag die beiden Pole und danach schrittweise die ganze Erdkugel erleuchtet, an dem, zum ersten Mal, die Fackel der Freiheit in ihrer ganzen Reinheit über der französischen Nation gestrahlt hat, die eines Tages das ganze menschliche Geschlecht erleuchten soll. So ist die Sonne an dem gleichen Tag von einer Hemisphäre zur anderen übergegangen, an dem das Volk im Triumph über die Unterdrückung der Könige von der monarchischen zur republikanischen Regierung übergegangen ist“, klärt uns Monsieur Romme über seinen Kalender auf und legitimiert so die Ausrufung der Republik am 22.9.1792 mit dem ewigen Gang der Gestirne.
Die Abteilung „Zeit, Raum und Natur“ gehört zu den spannendsten Kabinetten der Ausstellung. Die Tragik aller Revolutionen läßt sich hier schwarz auf weiß ablesen: die Revolution zu machen - und sofort beenden zu müssen; reinen Tisch mit allem Alten zu machen - und verzweifelt nach einer radikal neuen Ordnung zu suchen, die ihrerseits ewig, nicht revolutionierbar, sein muß.
Weil ihre Gesetze universal waren, mußte den Revolutionären jedes Wort, jede Geste, jeder Name und jede Form verdächtig sein. So wurden die alten Namen der Tyrannen und Heiligen von den Häuserecken gekratzt, ihre bloße Anwesenheit hätte die Moral der Citoyens verderben können. Die Welt der „Ohnehosen“ wimmelte von Bedeutungen, die in patriotischem oder im konterrevolutionären Sinne gelesen werden konnten. Die Orangenbäumchen der Parks stehen sklavisch in quadratische Kästen gezwängt: ein Bild der Knechtschaft! In die freie Erde mit ihnen! Der Zugriff war total; und nur die Post leistete vorsichtig Widerstand, als zuviele Ortschaften umbenannt wurden.
Aber Obacht: gar trickreich ist das Spiel der Zeichen. Ein Berg etwa wurde als Symbol der Ungleichheit verdammt und abgetragen, als Metapher für die republikanische Bergpartei jedoch in vielen Tempeln der bürgerlichen Tugenden (vormals Kirchen) wieder angehäuft. So wurde aus der monarchischen Tyrannei der Abstammung die Tyrannei der Semiotik. Gewiß ein Fortschritt. Die Explosion an Druckschriften, Karikaturen, Flugblättern und Pamphleten (die Gruppe von Hans Joachim Neyer hat sie aus dem Fundus des „Musee de l'Histoire vivante“ in Montreuil ans trübe Licht der aufgeklärten Gegenwart heraufgeschafft) zeigt, welchen enormen Interpretationshunger und Deutungsbedarf die Arbeit an der neuen Ordnung mit sich brachte. Und zeigt zugleich, in welchem Maß die Französische Revolution neben dem sozialen vor allem ein sprachliches Ereignis war - im Gegensatz zu den jakobinistischen Dogmen der Revolutionsgeschichte, denen die Berliner Aussteller bisweilen noch anhängen. Was Wunder, daß den Jakobinern bald bange wurde vor der permanenten Revolution: Die Tugend soll im Herzen ruhen und im Gefühl verankert sein, nicht aber aus der Diskussion entstehen; der Diskurs entzweie die gerade geeinte Nation - so lehrte Saint -Just in seinem republikanischen Kultsystem. Ruhe wurde Pflicht des Citoyen.
Doch Anonymus, der weiseste aller Chronisten, zeigte schon 1793 den Ordnungsbesessenen die Unmöglichkeit ihres Tuns, und so malt er uns die Liberte auf einem Blatt: als mit Schild, Pike und Jakobinermütze beladene Frau, die auf einer wackeligen Kugel den Spitzentanz probiert - zum Fallen verdammt, und das seit zweihundert Jahren, denn keine ewige Ordnung schützt sie mehr, nachdem die göttliche ein für alle Mal zu den Akten gelegt ist. Messidor
In der Mitte der Ausstellung, gleich unter der Cafeteria, thront als Leihgabe des Mainzer Polizeipräsidenten die Königin der Moderne: die Guillotine. Für eine Mainzer Kindsmörderin wurde sie 1945 gebaut, kam jedoch nie zum Einsatz, tröstet ein Merkblatt. Weil die ewige Ordnung immer noch auf sich warten läßt, ist die Klinge hochgekurbelt. Die Revolution ist nicht beendet. Aber keine Angst, sie wird nicht herunterfallen, weil gerade Schnitte nicht mehr möglich sind in krauser Zeit.
„Die Pforten des Paradieses sind seit der Revolution verschlossen; die Guillotine erinnert uns daran, daß nur die Tore der Hölle, der gegenseitigen Vernichtung offenstehen“, meisterdachte Andre Glucksmann. Und tatsächlich stellte Paris die Guillotine ins Herz der Polis und taufte ihren Standort „Platz der Eintracht“ (Place de la Concorde). So wird aus der Terreur die Abschreckung, in deren Schatten Politik getrieben werden muß.
Rings um die Berliner Guillotine eröffnet sich ein zweiter Teil der Ausstellung: Auf dem Programm steht die Revolution der Kunst. Denn sieht sich die Malerei nicht täglich vor dem Paradox der Jakobiner: auf freier Leinwand die hergebrachte Ordnung zu subvertieren und auf neue Ordnungen von Farben und Formen angewiesen zu sein? Doch hören wir den Meister selbst: Germinal
taz: Was hat der Ordnungssinn der Jakobiner mit der Guillotine zu tun?
Alain Jouffroy: Die Beziehung zwischen Tugend, Schrecken und dem Bösen ist noch unerforscht. Wenn Sie einen Begriff wegnehmen, verlieren Sie das Ganze. Sie werden von der Terreur nichts verstehen, wenn Sie sie ohne die Tugend denken.
Und die Kunst? Was hat sie mit der Revolution zu tun?
Heute, wo alles mediatisiert ist, frage ich mich, ob die Kunst der Ort ist, wo man dem Medium noch entwischen kann. Zumindest mental. Der einzige Ort der Freiheit, der übriggeblieben ist. Die Medien kontrollieren die Kunst nur oberflächlich, ihre Objekte, ihre Materialität, ihre Finanzierung. Aber das, um das es eigentlich geht, entzieht sich den Medien total...
Außerhalb der Leinwand gibt es keinen Platz mehr für Revolution?
Doch gewiß, warten wir's ab. Die Revolution wird sich in einer ganz anderen Weise abspielen. Gegen die Medien und gegen die Finanz. Die Revolte wird ausbrechen, wenn man sich der Kontrolle durch die Medien bewußt wird. Die Macht ist heute nicht mehr da, wo man sie vermutet, in den Regierungen und den Staatsapparaten. Der Feind ist versteckt, ungreifbar - weil er Teil von uns ist. Wir selbst sind mediatisiert vom System, also müssen wir uns gegen uns selbst auflehnen, um revolutionär zu werden.
La Bastille, c'est le Moi?
Die permanente Revolte gegen sich selbst - das nenne ich Kunst. Die Revolte gegen den Teil von uns, der uns immer unerträglicher wird, der unsere Unterwerfung unter das Joch der Medien bedeutet. Unsere Sprache, unser Vokabular, unsere Gewohnheiten - Alles! Wir selbst müssen uns als Experimentierfeld nehmen. Das ist revolutionäre Kunst. Ventose
Alain Jouffroy gehörte zum Surrealisten-Zirkel Andre Bretons. 1977 konzipierte er eine Hommage an den David -Schüler Topino-Lebrun, einen Anhänger des Babeuf, der von Napoleon hingerichtet wurde. Jouffroys Ausstellung ist in der Kunsthalle neu zusammengestellt worden. Merkwürdigerweise geht den Bildern von Monory, Erro und Fromanger alles Ekstatische ab, sie wirken flach gemalt, greifen in ihren Objekten zum Naheliegendsten: zu Chile und dem toten Holger Meins, oder sie bleiben schlicht illustrativ. Von einer Subversion, die vor keiner Identität haltmacht, und sei es die der Individualität, keine Spur.
Doch im nächsten Raum schon holt uns der Schrecken ein, denn hier hat die Kunst einen Gegenstand gefunden, der selbst der Tugend-Terror-Schnittstelle des Doktor Guillotin das Wasser reichen kann: die Badewanne.
Streng symmetrische Volks-Badewannen hatten uns die Architekten bereits in der vorherigen Abteilung gezeichnet, Orte der Reinheit und der zivilen Läuterung; und war es nicht auch vor einer Badewanne, wo die Deputierten des Nationalkonvents gemeinsam den Kult des Höchsten Wesens zelebrierten? Als Stätte faltenloser Sterilität führt uns Stelzmann die Wanne vor, ein Kopf beugt sich vor das perfekte Raster der Kacheln, und ein Lichtkegel sorgt für die angeschrägte Klinge. Und beim Lesen des Titels „Für R.D.“ ergreift uns das Grausen, durchfährt uns doch plötzlich die Einsicht, daß von Marat über Dutschke bis Barschel die Badewanne als Symbol der düsteren Gegenseite von Politik die gesamte moderne Geschichte durchzieht. In „Die rote Badewanne“ von Liebmann wird das weiße Email zur aufgerissenen Wunde, und in Hrdlickas wunderschönem neunteiligen Fries „Der Tod des Marat“ ist Charlotte Corday im Liebesspiel auf Leben und Tod mit dem „Ami du peuple“ zu sehen. Die helle Wanne ersetzt die düsteren Verließe als Kulisse, um den Phantasien des radikalsten Aufklärers und Umstürzlers zu huldigen, dem Marquis de Sade.
Das Badewannen-Pandämonium als Bild des Schreckens und der Reinheit hätte einen originellen und sinnvollen Abschluß des Ganges gegeben, der von den Druckgraphiken über Revolutionskunst, Zeit, Raum und Natur bis zu Napoleon reichte. Doch als wäre nicht schon genug zu sehen, mußten die Aussteller der Gegenwart das letzte Wort lassen. Nach altem Brauch wird der Geschichtsfaden fortgesponnen über 48er- und Industrielle Revolution, Bauernrevolution und koloniale Revolution, ein ebenso löbliches wie langweiliges Unterfangen. Denn so muß das allzu Bekannte als Schlüssel herhalten für das Neue, in diesem Fall das Vergangene. Die Fremdheit der 200 Jahre alten Graphiken und Entwürfe, die neugierig macht und so die Möglichkeit zum Wiedererkennen eröffnet, wird durch zu selbstverständliche Aktualisierungen banalisiert. In „Die Ketten der Sklaverei“ ist Platz für alles - Chile, Algerien, Iran und Kurdistan. Doch zu sehen sind nur Verstümmelungen und zerrissene Farbflächen. Schade, denn so wird der geschickt gestaltete Zusammenhang von Ordnung und Schrecken, der so kennzeichnend ist für Frankreichs Revolution, wieder auseinandergerissen. Brumaire
Die Staatliche Kunsthalle hat eine bemerkenswerte Ausstellung zusammengetragen, die 1789ff. als Kulturrevolution zeigt. Sie verzichtet auf Anschaulichkeit, auf Videos und ähnlichen Firlefanz und schickt den Besucher statt dessen auf die Suche: In jedem Exponat kann der Schlüssel verborgen sein, die Revolution zu verstehen. Genaues Hinsehen reicht aus. Umso bedauerlicher, daß die Aussteller ihrerseits der Schweige-Pädagogik Saint-Justs verhaftet bleiben. Ohne Französischkenntnisse ist der Betrachter aufgeschmissen - einsilbigere Erläuterungen als die in der Kunsthalle gezeigten sind kaum denkbar. So bleibt dem Rezensenten nur der Dank an die französischen Besatzer, daß sie den ausgezeichneten Katalog subventionierten und dadurch jedem/r CitoyenNe erschwinglich machen.
„1789/1989-200 Jahre Französische Revolution“, eine Ausstellung in der Staatlichen Kunsthalle Berlin, vom 19.April-28.Mai. Katalog: 38DM. Auf das umfangreiche Rahmenprogramm wird rechtzeitig im Programmteil der Berlin -taz hingewiesen.
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