Kein Regenschirm für Frankreichs Fußball

WM-Qualifikation: Frankreich - Jugoslawien 0:0 / Kaum noch Chancen für Michel Platinis Team  ■  Aus Paris Georg Blume

Bilder von den Trainingsspielen in der vergangenen Woche konnten die Hoffnung schimmern lassen. Da spielte Michel Platini noch unter den Seinen, sprang nach dem Ball, wie jeder andere. Doch am Samstagabend im Pariser Prinzenparkstadion war der Traum wieder vorbei. Damit auch ja keiner auf die Idee käme, er könne an diesem Abend, in der Stunde der Verzweiflung, zur allerletzten Rettung doch noch die Stiefel schnüren, schwitzte er lieber in Schlips und Kragen am Spielfeldrand. Während des Spiels lockerte Michel Platini nicht einmal die Krawatte.

Welch bittere Niederlage! Für jemanden, der den Fußball liebt, muß der Untergang im Sturm leichter zu ertragen sein als solch ein mageres 0:0. Also wird Frankreich, der Halbfinalist von 1982 und 1986, bei der Fußballweltmeisterschaft 1990 in Italien wohl nicht vertreten sein. Eine souveräne, wenn auch nicht wie gewohnt glanzvolle Mannschaft aus Jugoslawien vereitelte dem gallischen Team praktisch die letzte Qualifikationschance.

„Außer zwei Weitschüssen nichts gewesen“, beurteilte Michel Platini treffsicher den Spielverlauf. Genauere Beobachtungen stimmen den Franzosen nur noch trauriger. Die zwei erwähnten Weitschüsse glückten zum Spielende ausgerechnet jenem französischen Spieler, Laurent Blanc mit Namen, der die Nummer zehn auf dem Rücken trug. Da mußte der Eindruck entstehen, als sei es nicht jener blasse, bislang unauffällige Jüngling Blanc, der es endlich einmal schaffte, das Leder in die Richtung des jugoslawischen Tores zu befördern. Spielte dort nicht der Mythos Michel Platini, die Nummer zehn, auf Geisterfüßen?

Ach ja, vor knapp vier Jahren, an gleicher Stelle, und eben gegen jene Jugoslawen, erspielte sich Frankreich die Qualifikation für Mexiko. Mit zwei wunderbaren Weitschüssen zum 2:0-Endstand gewann das Team, das seinerzeit europaweit den schönsten Fußball spielte. Zweimal schoß damals Platini, und am Samstag saß er auf der Trainerbank...

Nur drei der Alten spielten diesmal noch mit: Torwart Bats, der den Freistoß von Brehme in Mexiko ewig sühnen wird, Vorstopper Battiston, dem Schumacher in Sevilla 1982 ins Gesicht sprang, und Außenverteidiger Amoros, der im besten WM-Spiel von 1986, Frankreich-Brasilien, sich selbst und alle anderen übertraf. Zwar durften 40.000 französische Zuschauer im Prinzenpark jedesmal aufatmen, wenn einer von ihnen den Ball erreichte - dann ging er nicht gleich beim nächsten Paß verloren - das aber reichte Frankreich nicht zum Sieg.

Natürlich gaben sich alle Mühe. Die Youngster aus Toulouse, Nantes oder Auxerre, wie sich Frankreichs fußballerische Metropolen heute nennen, sie traten den Ball auch schon mal mit dem Hacken, versuchten sanfte Heber und andere Tricks, so hatte es der Meister wohl gefordert. Aber es schien eben doch zu viel verlangt. Übers Radio sprach Platinis alter Spielgefährte im Mittelfeld, Alain Giresse, zur Halbzeit den Jungen Mut zu: „Ihr müßt euch befreien.“

Der glückliche Fußballer

Der Befreiungsruf kommt vorerst zu spät. „Giresse, Tigana und ich wären nie soweit gekommen, wenn es das heutige Ausbildungssystem für Profifußballer damals schon gegeben hätte,“ meint Fußballtrainer Michel Platini. Seine Forderungen an den französischen Fußballverband: Die Jugend erst mit 17 Jahren in die Profi-Vereinsschulen holen, und sie auch dann noch morgens anderweitig beschäftigen. Platini: „Um ein guter Fußballer zu sein, muß man glücklich sein und Lust haben, den Ball zu treten. Wenn die Leute morgens ihrer Ausbildung nachgehen und ihre Umwelt wahrnehmen lernen, dann werden sie am Nachmittag mehr Herz fürs Spiel haben.“ Mit anderen Worten: Die Spieler von heute haben nicht gelernt, mit Herz zu spielen. Will Platini es ihnen noch beibringen?

„Ein Trainer muß mit der Zeit denken. Beim Anpfiff ist seine Rolle abgelaufen. Gegenüber dem Spielergebnis ist er machtlos. Ich kann nicht den Regenschirm über den französischen Fußball halten.“ Platini bedenkt seine Lage, denn am Samstag vollzog sich der Generationswechsel endgültig. Ernsthaft spielen wird die französische Nationalmannschaft erst wieder bei der Europameisterschaft 1992 - falls sie sich qualifiziert. Bis dahin droht sie auf das untere europäische Mittelmaß zu verfallen, das die französischen Vereinsmannschaften bereits wieder eingeholt haben. Was also bleibt bis dahin?

Vielleicht bleibt Platini. Er war ja immer mehr italienischer Gigolo denn deutscher Kaiser. Er würde den jungen Spielern nicht weh tun. Er könnte dafür sorgen, daß wenn der französische Fußball je wieder Talente hat - die Nationalmannschaft sie nutzt. Bis dahin ist es nun ein langer Weg. Vorbei auf lange Sicht die Chance, Bundesdeutsche und Franzosen noch einmal in einem WM -Halbfinale zu sehen, damit endlich jener unermeßliche Schaden repariert werden könnte, den Platini dem Verhältnis zwischen unseren Völkern zugerichtet hat. Er hat es ja selbst nicht gewollt, aber er hat zweimal die Niederlage zugelassen, erst gegen Breitner, dann gegen Beckenbauer. Immerhin war demgegenüber die Niederlage am Samstag schmerzfreier, denn die Jugoslawen spielten bekanntlich schon immer schönen Fußball.

Gruppe 5: 1. Schottland 9:1 Punkte, 2. Jugoslawien 6:2, 3. Frankreich 4:6, 4. Norwegen 2:4, 5. Zypern 1:9.

Gruppe 7: Belgien - CSSR 2:0

1. Belgien 6:2, 2. Portugal 5:1, 3. CSSR 3:3, 4. Schweiz 2:4, 5. Luxemburg 0:6.