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DDR-Kommunalwahlen: Nicht alles wie gehabt

Am kommenden Sonntag sollen die DDR-BürgerInnen die Kandidaten der Nationalen Front für die kommunalen Parlamente bestätigen / Unabhängige und kirchliche Gruppen kritisieren Wahlritual als Gradmesser für den „erreichten Konformismus“ / Kleine demokratische Zugeständnisse bei den Wahlvorschlägen  ■  Von Birgit Meding

„Wir wissen, was wir wählen und wen wir wählen - die Kandidaten der Nationalen Front.“ Das SED-Zentralorgan 'Neues Deutschland‘ gibt sich auch in diesem Jahr gewiß, daß bei den am Sonntag anstehenden Kommunalwahlen alles beim alten bleiben, kein Gorbatschowscher Zeitgeist alles durcheinanderbringen wird. In der Tat, wenn am 7. Mai die über 250.000 Kandidaten der Einheitsliste der Nationalen Front (Zusammenschluß der Blockparteien, Massenorganisationen und Verbände) für die 7.800 kommunalen Parlamente wie Gemeinde- und Kreistage oder Stadtverordnetenversammlungen gewählt oder besser bestätigt werden, wird sich der Wahlakt nach bewährtem Ritual vollziehen. Dennoch scheint in diesem Jahr nicht alles so einfach und reibungslos zu sein wie bei den vorangegangenen Wahlen: Erstmals gab und gibt es in der DDR eine breitere, öffentliche Diskussion über Sinn und Unsinn des Wahlsystems und die Notwendigkeit seiner Veränderung.

Grundsätzliche Kritik kam vor allem von der Kirchenbasis. So stellte Edelbert Richter, Dozent an der Erfurter Predigerschule und einer der wenigen profilierten unabhängigen Vordenker einer gesellschaftlichen Umgestaltung auch in der DDR, unverblümt fest, der Wahlakt, der sich eigentlich erübrige, habe nur noch den Sinn, den Grad des erreichten Konformismus festzustellen. Deshalb solle es auch bei den Wahlen, laut Verfassung „Höhepunkte im gesellschaftlichen Leben“ der DDR und Zeichen der „weiteren Entfaltung und Vervollkommnung der sozialistischen Demokratie“, Veränderungen nach dem Vorbild einiger osteuropäischer Länder geben und damit die Chance, daß über tatsächliche Alternativen abgestimmt und nicht nur Vorgegebenes bestätigt werden kann. Und erstmals bekundeten DDR-Bürger aus kirchlichen und unabhängigen Gruppen öffentlich: „Wir nehmen an der Kommunalwahl nicht teil.“

Immerhin scheinen die Wahlrechtsreformen in Ungarn und Polen sowie die harten Auseinandersetzungen bei den März -Wahlen in der Sowjetunion an der DDR nicht spurlos vorbeigegangen zu sein. Zwar ist man in der DDR weit davon entfernt, dem Bürger ein Entscheidungsrecht zwischen alternativen Kandidaten einzuräumen; wie üblich soll er den Wahlzettel mit den Namen der Kandidaten lediglich „falten“ und - trotz der gesetzlich garantierten geheimen Wahl - vor aller Augen in die Wahlurne werfen. Im Vorfeld der diesjährigen Kommunalwahlen sind jedoch durchaus Ansätze von mehr Bürgerbeteiligung zu verzeichnen. Erstmals wurden die nominierten Kandidaten nicht nur in ihren Arbeitskollektiven und Wohngebieten unter Ausschluß der Öffentlichkeit geprüft. Zusätzlich mußten sie sich jetzt öffentlichen Beratungen im jeweiligen Wahlbezirk stellen, bei denen jeder Bürger sofern er Ort und Zeitpunkt der oftmals kaum angekündigten Veranstaltung in Erfahrung bringen konnte - mitreden und mitentscheiden durfte. Während bereits rund 1.250 Kandidaten bei der Prüfung in den Arbeitskollektiven durchfielen, stolperten immerhin noch mehr als tausend Kandidaten bei diesem öffentlichen Vorstellungsverfahren.

Auch wenn auf diesen Veranstaltungen nicht gerade eine kritikfreudige Atmosphäre herrschte - schließlich mußte jeder, der sich zu Wort meldete, vorher Name und Adresse angeben - konnten doch auch unbequeme Fragen angeschnitten werden, nach Umweltproblemen und chronischen Versorgungsengpässen etwa. Im Ostberliner Bezirk Weißensee mußte sich ein Kandidat sogar fragen lassen, ob es denn bürgerfreundlich sei, wenn die „schwarzen Limousinen“ der Funktionäre über die abgesperrte Protokollstrecke auf der Klement-Gottwald-Allee rasten. Ob dort nicht auch einmal die Polizei verstärkt zu Geschwindigkeitskontrollen herangezogen werden könnte? Grundsätzliche Kritik am Wahlsystem aber wurde regelmäßig abgeblockt, und nicht wenige Bürger erhielten zu den angeblich öffentlichen Veranstaltungen erst gar keinen Zutritt.

Als demokratischer Zugewinn gilt bei den diesjährigen Kommunalwahlen auch, daß nicht nur die fünf Blockparteien (SED, CDU, LDPD, NDPD und Demokratische Bauernpartei) und die großen Massenorganisationen wie der Gewerkschafts- und Frauenbund oder die FDJ Kandidaten aufstellen. Wahlvorschläge durften nun auch von den kleineren Verbänden der Nationalen Front kommen, etwa vom Verband der Kleingärtner und Kleintierzüchter, von den Sportvereinen, dem Roten Kreuz, den Freiwilligen Feuerwehren oder den Rentnern der Volkssolidarität. Ebenfalls neu ist in diesem Jahr, daß erstmals kommunales Wahlrecht für Ausländer praktiziert wird. Insgesamt 129 ausländische Kandidaten wurden DDR-weit für die kommunalen Parlamente nominiert. Demgegenüber wurden fast 40 Prozent der bisherigen Mandatsträger nicht wieder in den Wahlvorschlag aufgenommen

-ein selten deutliches Indiz für die Unzufriedenheit mit deren bisheriger Abgeordnetentätigkeit.

Bei allen Veränderungen an der Kandidatenbasis wurde der Versuch unabhängiger und kirchlicher Gruppen erfolgreich abgewehrt, eigene Kandidaten aufzustellen. Was für Kleingärtner und Feuerwehrleute gilt, sollte nicht in gleicher Weise für Friedens- und Umweltgruppen gelten. „Es ist leider nicht möglich gewesen, solche Kandidaten auch nur ins Gespräch zu bringen“, resümmiert Reinhard Lampe, Mitunterzeichner eines Aufrufs zur Aufstellung unabhängiger Kandidaten. Vielfach wurden die Wählbarkeitsbescheinigungen, eine Art polizeiliches Führungszeugnis, verweigert oder die unliebsamen Initiativen schlicht ausgetrickst. Edelbert Richter: „Da die kirchlichen Gruppen weder zu einer Massenorganisation wie der FDJ gehören noch zu einer regionalen Vereinigung wie dem Kleintierzüchterverein haben sie offensichtlich kein Recht, Kandidaten vorzuschlagen. Außerdem wurde darauf verwiesen, daß jeder christliche Bürger die CDU ja als seine Vertretung ansehen kann“: Sein Fazit: „Die unabhängigen Gruppen gibt es rechtlich gar nicht.“

Daß es mit den alternativen Kandidaten nicht klappte, lag zum Teil aber auch an den Gruppen selber. Ob es überhaupt Sinn macht, eigene Kandidaten aufzustellen, war vielfach nicht unumstritten. Die Kandidatenkür wurde daher oftmals nur halherzig betrieben. Angst vor staatlicher Vereinnahmung oder die Befürchtung, durch die Kandidatenaufstellung das Wahlsystem der DDR doch anzuerkennen, spielten ebenso eine nicht unwesentliche Rolle. Nachdem die Aufstellung unabhängiger Bewerber gescheitert war, wird nun verstärkt propagiert, die verbliebenen Wahlmöglichkeiten auszuschöpfen; etwa den gesetzlich garantierten Anspruch auf geheime Wahl ernst zu nehmen und - wie kürzlich Kremlchef Gorbatschow - die Wahlkabine zu benutzen. Gleichfalls wird angeregt, Veränderungen auf dem Stimmzettel vorzunehmen und beispielsweise jeden einzelnen Namen durchzustreichen und damit eine eindeutige Nein-Stimme abzugeben. Nach Schließung der Wahllokale soll darüber hinaus mehr als bisher die Möglichkeit wahrgenommen werden, an der öffentlichen Stimmauszählung teilzunehmen und die Auswertung zu kontrollieren. Denn in der Vergangenheit wurde schon so manche Nichtteilnahme oder Nein-Stimme „vergessen“.

Während Kritiker in Leipzig und Ost-Berlin Wahlhappenings für Nichtwähler - planen, werden selbstverständlich auch die Sicherheitskräfte nicht untätig bleiben. Damit „Verleumdungen und Schmähungen gegenüber dem Staat rechtzeitig erkannt und unterbunden werden“, wurden umfangreiche Vorkehrungen getroffen: Hausgemeinschaftsleitungen, Funktionäre für Sicherheit und Ordnung sowie andere „progressive“ Bürger sollen in den Wohnbezirken mitkontrollieren und „antisozialistische Schmierereien“ rechtzeitig melden. Wie aus einer „Konzeption zur Gewährleistung von Ordnung und Sicherheit“ weiter hervorgeht, soll auch frühzeitig mitgeteilt werden, „wenn das Verhalten von Mietern im Widerspruch zu den Normen des Zusammenlebens in Wohngebieten“ steht. Eine Formulierung, die einen breiten Spielraum für staatliche Eingriffsmöglichkeiten gegenüber kritischen oder andersdenkenden Bürgern eröffnet. Das „wichtigste gesellschaftliche Ereignis“ im 40. Gründungsjahr will sich jedenfalls der SED-Staat nicht vermiesen lassen. Und vermutlich besteht auch kein Grund zur Panik. Selbst Kritiker sind sicher, daß es auch bei diesen Wahlen wieder eine neunundneunzigprozentige Zustimmung zu den Kandidaten der Nationalen Front geben wird. Daß dabei wie üblich die Wahlbeteiligung größer als die Wahlust sein wird - wen soll das stören?

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