: Enttäuschung im Kiez
„So kann es nicht weitergehen.“ Das ist die einhellige Meinung vieler Basisinitiativen im Bezirk Kreuzberg. Bei der Immigrantenorganisation „Wohnen und Leben“ ist man entsetzt, aber auch zornig über die gewalttätigen Ausschreitungen am 1.Mai: „Man muß sich jetzt überlegen, wie in Zukunft diese Maifeier gestaltet werden soll. Die Leute denken doch, alle im Kiez stehen hinter ihnen. Aber so ist es nicht! Das muß jetzt diskutiert werden“, erklärt ein Vertreter von „Wohnen und Leben“. Die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN), auf dem Fest selbst mit einem Stand vertreten, sieht rechte Provokateure am Werk: „Politisch gesehen, hilft diese Randale nur den Rechten. Schon jetzt fängt die CDU an, die Schutzmaßnahmen von Antifaschisten zum Hitler-Geburtstag am 20.4. mit den Provokationen vom 1.Mai in einen Topf zu werfen. Allerdings fragen wir uns auch, warum die Polizei nicht schon bei den Ausschreitungen während der Demonstration eingegriffen hat, sondern erst auf dem Lausitzer Platz, wo Tausende einen friedlichen 1.Mai feiern wollten.“
Aus dem Kreis der Veranstalter des Festes, dem „Bündnis gegen Faschismus, Rassismus und Sexismus“ - ein Bündnis, das von den Autonomen über die VVN bis hin zur SPD reicht -, gibt es eine erste Einschätzung der 1.-Mai-Nacht. „Ich denke, wir haben es hier mit einer Bewegung zu tun, die man nur peripher zum Umfeld der Autonomen zählen kann, aber mit einer No-future-Haltung, und absolut bündnisunfähig. Unsere Antifa-Leute wollten ja schlichten, sind aber dann selber angegriffen worden. Hier ist ein linkes Projekt angegriffen worden. Ich nenne das Vorgehen einfach konterrevolutionär, um mal bei diesem Begriff zu bleiben.“
Für den ehemaligen Kreuzberger AL-Abgeordneten Erich Jesse flogen die Kreuzberger Steine direkt ins Rathaus Schöneberg: „Ich halte das für einen ganz schlimmen Versuch, die Politikansätze von Rot-Grün zu zerstören, damit die Rechten wieder an die Regierung kommen. Es war nicht der Aufschrei der sozial Schlechtgestellten, es war eindeutig der Versuch, die rot-grüne Koalition zu sprengen. Alle politisch Aktiven in Kreuzberg müssen sich jetzt fragen, ob sie für sowas weiterhin die Kulisse abgeben wollen.“ Auch für die AL -Kreuzberg „waren das gezielte Provokationen eines kleinen Teils der Autonomenszene. Bestimmte Leute wissen offenbar nicht, was sie tun. Objektiv haben sie der rechtsextremen Propaganda Vorschub geleistet.“
Bei einer ganzen Reihe von Kiezinitiativen saß man am Dienstag zusammen und überlegte, wie es weitergehen kann. Allerdings gab es quer durch Parteien und Kiezinitiativen eine einhellige Meinung: So geht es nicht mehr weiter, wir wollen nicht mehr zulassen, daß der Kiez von einer Handvoll Chaosköpfen zertrümmert wird!
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