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"Jenseits jeder revolutionären Taktik"

■ An alle Autonomen, Antiimperialisten, Antifaschisten und Alternative! * Diskussionsbeitrag des Kerngehäuses zum gemeinsamen Kreuzberger Kiezpalaver am 21. Mai:

Diskussionsbeitrag des Kerngehäuses zum gemeinsamen Kreuzberger Kiezpalaver am 21.Mai:

Revolutionäres Handeln setzt nicht nur die Wut im Bauch, sondern auch den Verstand im Kopf voraus. Letzteres ist abhanden gekommen.

Die Behauptung und Entwicklung einer revolutionären politischen Kultur in Kreuzberg braucht ein Zusammenwirken und eine Verständigung von allen autonomen, antifaschistischen und alternativen Kräften. Dies ist in der letzten Zeit immer mehr verschwunden - damit auch die Akzeptanz für unterschiedliche politische Strategien. Die Mai-Ereignisse treiben die Kreuzberger Linke noch zusätzlich in einen extremen Spaltungsprozeß hinein.

Revolutionäre Gewalt baut sich nur durch langwierige Erfahrungen und bewußte gedankliche Prozesse innerhalb der Linken auf - durch das Ausprobieren unterschiedlicher Ansätze gesellschaftlicher Veränderung. Soziale Revolten dagegen schließen einen frustrierten, gewaltbereiten aber unpolitischen Teil der Bevölkerung mit ein und erhalten damit eine spontane, aber ambivalente politische Wirkung. Wer aber soziale Revolte ritualisiert und herbeiorganisieren möchte, wer damit eine Spaltung innerhalb der Linken in Kauf nimmt, nur um unpolitische aggressionsbereite Teile der Bevölkerung in seine Aktionen einzubeziehen, handelt konterrevolutionär, weil damit automatisch die gezielte, politische Gewalt auf der Strecke bleibt. Wenn dabei kleine Läden zugrunde gehen, die sich Rolläden und hohe Versicherungssummen nicht leisten können, dann hat das mit dem Kampf gegen Umstrukturierung nichts mehr zu tun, sondern ist das genaue Gegenteil.

Wenn in diesem „Kampf“ Personenkreise integriert werden, die nur aus Gründen persönlicher Bereicherung oder „just for fun“ mitmischen, dann hat dies mit einer Ausdehnung des anarchistischen Gedankens nichts mehr zu tun - sondern ersetzt die Ellenbogengesellschaft von oben durch den Kampf von allen gegen alle auf der Straße.

Wenn ein antifaschistisches Kiezfest zum Ausgangspunkt solcher Aktionen gedacht wird und eine Zerstörung des Kiezes und des positiven Kiezgefühls der Mehrheit der Bewohner bewußt in Kauf genommen wird, dann ist dies fernab jeder revolutionären Taktik.

Wenn damit die weitere Verankerung der Linken und ihrer Ideale in der Kreuzberger und der Berliner Bevölkerung verhindert wird und schließlich eine Regierung der erklärten Reformen gestürzt werden soll, die noch nicht einmal die Zeit hatte, ihre vielbeschworene Unfähigkeit zu wirklichen gesellschaftlichen Veränderungen für alle ersichtlich auch unter Beweis zu stellen, dann hat dies mit revolutionärer Aufklärungsarbeit auch nichts mehr zu tun.

Auch dem Kampf der Gefangenen im Hungerstreik um eine Verbesserung ihrer Haftbedingungen nützt eine solche Politik der Polarisierung innerhalb der Linken und gegenüber der Bevölkerung überhaupt nichts - gerade in Berlin, wo der Senat auch ohne Krawall zu immer weitergehenden Zugeständnissen bereit war.

Wer sich einer gemeinsamen Diskussion innerhalb der Linken weiterhin entzieht, sich isoliert und weiterhin Aktionen in diese Richtung plant, handelt konterrevolutionär, weil damit automatisch ein entschiedener, kräfteverschleißender Widerstand innerhalb der Linken gegen sich selbst provoziert wird.

Wir hoffen, daß alle Menschen und Gruppen, die ihr Handeln noch politisch motiviert verstanden wissen wollen, sich dieser Diskussion auf dem Kiezpalaver stellen.

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