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Wir reden mit Euch ... und bauen Eure Barrikaden ab

Erklärung von Kreuzberger Nachbarn zum sogenannten „historischen“ 1. Mai auf dem Lausitzer Platz  ■ D O K U M E N T A T I O N

Der Charakter der Demonstrationen in Kreuzberg hat sich enorm geändert, das Fest auf dem Lausitzer Platz ist kein Stadtteilfest mehr gewesen. Sogar diejenigen Kreuzberger, die vor 10, 15 Jahren nicht im Traum auf die Straße gegangen wären, waren bereit, die Vielfalt des Lebens im Kiez zu feiern - und dann haben sie eins in die Fresse gekriegt: und zwar nicht von der Polizei! Wir haben in und vor unseren Häusern am 1.Mai gemerkt, daß durch militante Aktionen unser Lebensbereich, die Umgebung, in der wir wohnen und in der wir auch bleiben wollen, angegriffen und zerstört wird. Einzelne von uns versuchten am Anfang der Straßenschlacht durch Diskussion mit Vermummten und Abbau von Sperren eine Eskalation zu verhindern, was in einzelnen Fällen gelang.

Es gibt offenbar einen neuen Zerstörungswahn, der sich hinter revolutionären Parolen oder einfach hinter dem Wort „Revolution“ verbirgt:

-Autos werden einfach „genommen“, um sie anzustecken - kein Mensch kann sagen wozu;

-Barrikaden werden über die Straße gebaut: ohne daß jemand angegriffen wurde;

-Schaufenster werden eingeworfen: offenbar deswegen, weil das so schön kracht oder weil dadurch Alkohol umsonst ist;

-Polizisten werden unglaublich mies behandelt und provoziert, als wären es nur Apparate und keine Menschen;

-der Görlitzer Park, nach langen Kämpfen für uns und von Arbeitern liebevoll angelegt, wird zertrampelt, die hineingesteckte Arbeit und der Erholungswert dieses bißchen Grüns wird vollkommen ignoriert;

-Leute wollten sogar eine Tankstelle anzünden, ohne einen Gedanken daran, daß beim „Abfackeln“ einer Tankstelle Hunderte von Menschen in die Luft gehen.

An diesem 1.Mai spielten wieder, wie schon 1987, die Zuschauer eine sehr wichtige Rolle. Es waren keine 2.000, die uns bedrohten, sondern ganz wenige Irrsinnige, die in einer schaulustigen Menschenmasse ihre Menschenverachtung austobten. Alle vernünftigen Menschen müssen sich klarmachen, daß man allein durch spektakelgeiles und betrunkenes Rumgeglotze diese trübe Suppe am Kochen hält. Es ist noch nicht abzusehen, was sich aus diesem „Kino Kreuzberg“ noch alles entwickeln wird, was da noch explodiert, und welche ganz anderen Typen da mitspielen könnten. Wir haben in unseren Wohnungen das Geschehen auf der Görlitzer und auf der Skalitzer Straße aus der Nähe angesehen und rufen den Neugierigen oder den „Happening -Zuschauern“ in Erinnerung zurück, was jeder im Grunde selbst weiß: Diese Form der Demonstration ist eine Art Krieg, ein tatsächlicher Krieg! Wer da bloß zuguckt oder wer da auch in der taz angebliche Witzchen darüber schreibt „Randale ist angesagt!“ - hat seinen Verstand aufgegeben!

Entweder, Ihr geht in einer solchen Situation nach Hause oder Ihr greift ins Geschehen ein. Wer hier Spiele spielt wie zum Beispiel „Bullen-Verarschen“, der trägt zur Zerstörung dieses Bezirks bei!

Wir haben unter uns beschlossen:

-Wir reden mit Euch Vermummten - und bauen Eure Barrikaden ab.

-Wir werden die Kneipen auffordern, in solchen Situationen den Bierverkauf einzustellen.

-Wir werfen den Zerstörern des Bezirks Wasser und Farbeier auf den Kopf.

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