: Vier Milliarden Kilometer von der Erde entfernt
■ Gestern morgen um zwanzig nach vier waren Pluto und Charon der Erde so nahe wie lange nicht mehr / Kollisionsgefahr mit Neptun besteht 1999 nicht
Besonders große Aufmerksamkeit wird das Ereignis am kommenden 5. September vermutlich nicht auf sich ziehen, doch immer noch mehr als das, was gestern früh um genau zwanzig nach vier unserer Zeit passierte. Das hat zunächst einen simplen Grund: Empirisch überprüfen läßt es sich nicht, denn es geschah ziemlich genau 4,291 Milliarden Kilometer von der Erde entfernt. Der Planet Pluto erreichte gestern seinen erdnächsten Punkt für die nächsten 247 Jahre.
Solange dauert ein Umlauf des „äußersten“ Planeten um die Sonne. Heliozentrisch, wie die Wissenschaft vom Planetensystem seit der Aufklärung nun einmal ist, bevorzugen die AstronomInnen den 5. September, weil der Pluto an diesem Tag mit 4,4 Milliarden Kilometern seinen sonnennächsten Punkt erreicht. Amateur-AstronomInnen tendierten allerdings ebenfalls zum 4. Mai, erstens, weil nun mal die letzten beiden Nächte klar waren, und zweitens, weil die Bewegung der Erde um die Sonne die Distanz zum Pluto wieder vergrößert und somit die Bebachtung des kleinen und überaus lichtschwachen Planeten noch mehr erschwert selbst mit größten Teleskopen ist er kaum als Scheibchen, sondern mehr als Lichtpunkt zu erkennen.
Das war auch der Grund, warum Pluto erst 1930 entdeckt wurde, und das auch mehr aus Zufall. Daß es „hinter“ dem Neptun noch einen weiteren Planeten geben müßte, war schon Ende des 19. Jahrhunderts aus Bahnstörungen von Uranus und Neptun abgeleitet worden. Die lange Suche wurde schließlich im dritten Anlauf erfolgreich abgeschlossen, weil sich neue Fehler in die schon fehlerhaften Ausgangsdaten eingeschlichen hatten - mit der Plutomasse allein können die Bahnstörungen des siebten und achten Planeten nicht erklärt werden, was prompt Spekulationen über einen weiteren, zehnten Planeten auslöste. Jedenfalls gab es 1930 die seltene Situation, daß die Fehler das Auffinden Plutos per saldo erleichtert hatten.
Als nun William C. Tombaugh den Planeten vor fast sechzig Jahren entdeckte, konnte er ihn noch getrost als „äußersten“ Planeten des Sonnensystems bezeichnen. Das ist seit 1979 und bis 1999 anders. Denn Pluto hat eine so stark elliptische Umlaufbahn um die Sonne, daß er sich derzeit noch innerhalb der Neptun-Bahn bewegt. Damit weicht die planetare Realität für zwanzig Jahr von den gewohnten schematischen Darstellungen ab, nach denen sich Neptun in einer Entfernung von 4,5 Milliarden und Pluto von durchschnittlich fast sechs Milliarden Kilometern von der Sonne befindet - am sonnenfernsten Punkt ist Pluto sogar 7,3 Milliarden Kilometer weg.
Mit Neptun zusammenstoßen kann Pluto aber dank einer gleich doppelten Sicherung nicht. Zum einen - auch dies ist ein Extrem im System - hat er eine Bahnneigung von rund 17 Grad gegenüber der ungefähren Hauptebene des Sonnensystems, während der Neptun nur knapp 1,5 Grad aufweist. Pluto kommt nie näher als 1,2 Milliarden Kilometer an die Neptunbahn heran - das ist immerhin achtmal die Entfernung von der Erde zur Sonne. Zum anderen aber verhalten sich die Umlaufzeiten von Neptun und Pluto so zueinander, daß sie sich (alle 500 Jahre) immer dann am nächsten sind, wenn Pluto etwa seinen sonnenfernsten Punkt erreicht hat - auch deswegen sind also keine erschütternden Ereignisse zu erwarten.
Die Pluto-Literatur, die älter als zehn Jahre ist, kann man getrost vergessen - nahezu alle Angaben über Pluto sind völlig überholt. Wer auf dem Laufenden sein will, muß schon eine wohl einzigartige Fachzeitschrift abonnieren, die 'Ninth Planet News‘, die sich ausschließlich mit dem Pluto beschäftigt. Schon der Durchmesser des Planeten mußte bis vor ein paar Jahren von einst 6.000 Kilometern ständig herunterrevidiert werden. Die wichtigste Entdeckung gelang 1978 dem US-Astronomen James Christy, der dem Pluto einen Mond nachweisen konnte - übrigens in einem Observatorium der US-Marine in Arizona, das nur sieben Kilometer vom Lowell -Observatorium entfernt liegt, wo Tombaugh den Pluto entdeckte.
Charon ist gelb und
kommt nicht vom Fleck
Plutos Mond ist so groß, daß es in Fachkreisen bereits üblich geworden ist, von Pluto als einem Doppelplaneten zu sprechen: Charon - als Name war auch Persephone im Gespräch
-hat einen Durchmesser von 1.200 Kilometern, während sich die Experten jetzt über einen Pluto-Durchmesser von 2.200 Kilometer einig sind (Erde: 13.000). Nicht nur, daß damit Pluto den relativ zu ihm größten Mond des Sonnensystems hat, Charon ist mit 19.000 Kilometern Entfernung auch der Trabant, der die relativ geringste Distanz zu seinem Planten hat.
Und - er kommt nicht vom Fleck, zumindest von Pluto aus gesehen. Weil Umlaufzeit und Eigendrehung von Charon und die Rotation von Pluto identisch sind, hängt Charon immer als riesige dunkelgraue Kugel an der gleichen Stelle des Pluto -Himmels. Vom Pluto aus gesehen, hat Charon einen siebenmal so großen Durchmesser wie der Erdmond von der Erde aus gesehen. Ebenso wie der Erdmond wendet Charon dem Pluto immer die gleiche Seite zu.
Zumindest derzeit ist es dabei auf dem Pluto erstaunlich hell. Weiterhin etwas anthropozentrisch betrachtet, wäre sogar die Lektüre unter freiem Himmel denkbar, denn die Sonne, wenn sie auch klein am Pluto-Himmel steht, sorgt immerhin noch für eine Lichtstärke, die etwa der von 500 Vollmonden auf der Erde entspricht.
Seit die Existenz Charons bekannt ist, können Chemiker auch mehr über die Atmosphäre und die Oberfäche des Doppelsystems sagen. Das Lichtspektrum Plutos als eines einzigen Planeten ließ früher gefrorenes Methan und gefrorenes Wasser vermuten. Weil nun einige Jahre lang kleine Lichtschwankungen zu beobachten waren, wenn Charon vor Pluto stand oder hinter ihm verschwand, konnte das Licht „auseinandergerechnet“ und gleich auch eine Gröbst-Landkarte von Pluto angefertigt werden. Vorläufige, aber einigermaßen gesicherte Ergebnisse: Charon ist es, der von Wassereis bedeckt ist, während Pluto nach einer Karte von Tholen und Buie aus dem Jahr 1987 große Polarregionen aus Methaneis hat. Zwischen ihnen befindet sich ein ebensobreites Band, das aber dunkler ist und einen noch dunkleren und einen helleren Fleck aufweist. Charons Hauptfarbe ist grau, während Pluto gelb ist. Nach Berechnungen der Pluto-Masse und -Dichte steht nun auch zu vermuten, daß es Pluto auf eine etwa dreißig Meter dicke Atmosphäre bringt. Wenig heimelig ist es aber nicht nur wegen des Methans, sondern vor allem wegen der Kälte: minus 230 Grad, wobei Charon, weil dunkler, ein ganz kleines bißchen wärmer ist.
Wo, bitte, kommen
die beiden her?
Noch ganz ungeklärt ist aber, wo Pluto und Charon überhaupt herkommen. Lange war darüber spekuliert worden, ob Pluto nicht ein „entlaufener“ Neptunmond sein könnte, der durch ein nahe Passage des Neptun-Mondes Triton aus der Bahn geworfen wurde - oder gar durch eine Kollision, bei der auch Charon entstanden sein könnte. Schnell verworfen wurde auch die Vermutung, Pluto habe Charon später eingefangen - dazu ist Plutos Masse viel zu gering. Als wesentlich wahrscheinlicher gilt derzeit die Vermutung, daß sich Pluto/Charon genau wie die anderen Planeten und ihre Monde aus einer rotierenden Staub- und Gaswolke gebildet haben und dann durch die wechselseitige Anziehung stabil wurden. Auch an diesem Problem dürften die AstronomInnen jedoch noch einige Zeit zu knabbern haben.
Dietmar Bartz
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