Südkoreas Polizei demoralisiert

■ Präsident droht mit dem Ausnahmezustand / Polizei protestiert gegen Fehler von Einsatzleitern

Seoul (dpa/ap/taz) - Die Geiselnahme in der südkoreanischen Stadt Pusan, bei der sechs Polizisten ums Leben kamen und 20 Beamte und Studenten zum Teil lebensgefährlich verletzt wurden, bestimmte auch am Donnerstag die politischen Auseinandersetzungen in Südkorea. Scharfe Kritik übte die Opposition an der Drohung von Präsident Roh Tae Woo, den Notstand auszurufen. Im Einvernehmen mit der Regierung will sie jedoch ein Gesetz gegen den Besitz und den Einsatz von Brandbomben verabschieden.

Zu den Todesfällen war es am Mittwoch gekommen, als in der Universitätsbibliothek von Pusan verschanzte Studenten Feuer legten, um den Angriff von 700 Bereitschaftspolizisten abzuwehren, die fünf von den Studenten als Geiseln festgehaltene Kollegen befreien wollten. Einige Polizisten seien aus dem Fenster gesprungen, um dem Feuer zu entfliehen; andere seien verbrannt oder im Rauch erstickt, teilte die Polizei mit. Unter den 94 festgenommenen Studenten, die auf dem Dach des Hauses eingekesselt worden sind, befand sich auch der 23jährige Präsident des Studentenparlaments, dem vorgeworfen wird, die kerosingetränkten Barrikaden in Brand gesetzt zu haben.

Die Studenten wollten mit der Geiselnahme gegen einen Zwischenfall vom Montag protestieren, bei dem ein Polizist während eines Angriffs von Demonstranten auf eine Polizeiwache in die Luft geschossen hatte.

Auch am Donnerstag wurden Dutzende von Studenten auf dem Weg zu einer Kundgebung in die Hafenstadt Masan festgenommen. Tausende von Polizisten blockierten dort die Veranstaltung radikaler Arbeitnehmervertretungen gegen die Gewerkschaftspolitik der Regierung Roh.

Die Eskalation der seit Monaten andauernden gewalttätigen Arbeitskonflikte und Studentenproteste demoralisiert unterdessen auch die Bereitschaftspolizei. 150 Polizisten beteiligten sich am Mittwoch im Polizeipräsidium von Pusan an einem Sitzstreik. Sie erklärten, ihre Vorgesetzten hätten bei dem Einsatz in der Bibliothek Fehler gemacht.

Die Dachorganisation der oppositionellen demokratischen Bewegungen Jeon Min Youn veröffentlichte gestern Zahlen über die im Zuge der neuen Repressionswelle bekanntgewordenen politischen Gefangenen: Entsprechend dem Stand vom 29. April wurden nach den Olympischen Sommerspielen 293 Menschen verhaftet. Davon waren 149 Personen im Arbeitskampf engagiert und 112 Studenten. Hinzu kommen 267 politische Langzeitgefangene, die wegen ihrer politischen Überzeugung durchschnittlich länger als 20 Jahre im Gefängnis sitzen.

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