: Permanente Demonstration in Beijing
Die zweite große Studentendemonstration in Beijing / Rund 100.000 Menschen in dem kilometerlangen Zug / Polizeisperren durchbrochen / Erstmals solidarisieren sich auch hundert Journalisten / Studenten wollen jetzt „echten Dialog“ mit der Regierung ■ Von Thomas Reichenbach
Beijing (taz) - Von der permanenten Revolution zur permanenten Demo. Zum zweiten Mal innerhalb weniger Wochen haben Beijings Studenten gestern rund 100.000 Menschen auf die Straße gebracht, die mit einem kilometerlangen Zug für politische Reformen und mehr Freiheiten demonstrierten. 4.Mai 1989: Anlaß der gestrigen Aktion war der Jahrestag der vor 70 Jahren von Studenten entfachten 4.-Mai-Bewegung für Demokratie. Trotz massiver Drohungen der Parteiführung und trotz massiver Polizeisperren am Platz des Himmlischen Friedens stürmten die Studenten erneut auf das riesige Areal im Zentrum Beijings. Zu einer Wendemarke für China könnte der Mut von mehreren hundert Beijinger Journalisten werden. Vor den jüngsten Studentenprotesten und vor wenigen Wochen noch undenkbar, gingen sie gestern zusammen mit den Studenten auf die Straße und forderten Pressefreiheit und eine unabhängige Presse. Spontaner Beifall: „Lang sollen die Journalisten leben.“
Eine unüberschaubare Zahl von Studenten war morgens ab acht Uhr in Blöcken Richtung Zentrum losgezogen, vielleicht 80.000 Studenten, darunter auch Delegationen aus Schanghai, Tianjin und Wuhan. Die wenigen Flugblätter werden den Aktivisten von der meist solidarischen Bevölkerung buchstäblich aus der Hand gerissen. An jeder größeren Kreuzung warten bereits tausend Menschen, um die Demonstranten zu begrüßen: „Weiter so!“ Immer wieder wird die Internationale gesungen, immer wieder von der Regierung der Dialog gefordert. Fortsetzung auf Seite 2
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Nach zwei Wochen Unistreik braucht die Bewegung dringend Erfolge. Sie hat bei der großen Demonstration am 27.April zwar die Herzen der Stadtbevölkerung gewonnen, aber die Regierung hat sich seitdem keinen Millimeter bewegt. Die beiden entscheidenden Probleme: die Legalisierung der von den Studenten gewählten autonomen Vertretungen und der Dialog zwischen diesen Studentenvertretern und der Regierung. Die Regierung hatte den „Dialog“ zwar am 29.April offiziell eröffnet, aber die von der Regierung eingeladenen Studenten gehörten dann großteils den alten KP-nahen Studentenverei
nigungen an. Die frei gewählten autonomen Studentenkomitees betrachtet die Regierung dagegen als illegale Organisationen und lehnt sie als Dialogpartner ab. Solange die Studentenkomitees illegal bleiben, droht ihren Aktivisten die Repression. Unter dem enormen Druck ist innerhalb der Komitees der Streit über das Vorgehen offen ausgebrochen: An der Beijing-Uni zum Beispiel arbeitet das Komitee derzeit bereits in der dritten Besetzung.
Die Ziele und Losungen der Demonstrationen haben sich mittlerweile geändert: Nun fordern die Studenten: „Echter Dialog!“, „Schluß mit der Täuschung der Öffentlichkeit!“ sowie das Ende der Diffamierung der DemonstrantInnen als „Handvoll antisozialistischer Elemente“, die die Gesellschaft in Unruhe stür
zen wollen. Am Rande der Demostration gab es denn auch skeptische Stimmen, ein Doktorand der Technischen Uni pessimistisch: „Viel hängt vom heutigen Tag ab. Eine so große Mobilisierung wie zum Jahrestag wird kaum noch einmal gelingen. Und ohne Erfolge läuft sich die Bewegung müde.“
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