: DER BLAUE WEDDING
■ Blues im Steamboat und anderswo
Der Blues wohnt im Wedding, in der Schwedenstr.1. Und er feiert an diesem Wochenende Geburtstag, ganz groß mit Party, weit weg von zuhaus, in 61. Auch wenn der Berliner Blues erst sechs wird, er ist schon mächtig herumgekommen. Angefangen hat alles 1983 im Lands End, kurz vor der Mauer in der Nähe Kochstr., an einer dieser gerade auf die Wand zuführenden Todesstrecken für Selbstmörder. Das Lands End sah von außen wie eine Mischung aus Pommesbude und Litfaßsäule aus. Ich kann mich noch dunkel erinnern, als damaliger Berlintourist, bei einem nächtlichen Mauerspaziergang den Schuppen gesehen zu haben. Man hörte die laute Musik von einer Band bis über die leergefegte Straße. Ich war mir sicher, den fertigsten und abgewracktesten Laden Berlins aufgespürt zu haben, reingetraut habe ich mich damals nicht.
Das scheint ein Fehler gewesen zu sein. Nach der Schließung des Lands End 1985 zogen die Bluesser, die jeden Donnerstagabend ihre Session veranstalteten, wie ein Vertriebenenverein durch diverse Kneipen. Schließlich angekommen sind sie im Weddinger Steamboat, das von außen wie eine Eckkneipe aussieht. Bluessession ist jeden Donnerstag.
Innen gerät man fast automatisch an die wuchtige Theke. Neben einem steht dort ein Jack Daniels Trinker, er darf keine andere Marke verkonsumieren, denn er ist Sänger der Jack Daniels Blues Band, und die hat einen Werbevertrag mit der Whiskyfirma, wie die Wirtin Monica lächelnd beim Einschenken vermerkt. Kultursponsoring der ersten Güte. Heute abend ist es nicht besonders voll, das liegt am verblichenen Vatertag, der einige Bluesfans schon in den hitzigen Nachmittagsstunden hinweggerafft hat. Trotzdem reißt sich die Crew zusammen, alle kriegen noch Whisky, bauen die Anlage auf und gehen hinter das gedrechselte Holzgitter an der kleinen Bühne.
Und wer jetzt denkt, diese Truppe spiele alten Scheiß, langweiligen, dahingeröchelten, selbstmitleidigen Blues, so wie man ihn kennt und haßt, der hat sich geschnitten. Der schmächtige Sänger hat eine Stimme dreimal so groß wie sein Körper, der Gitarrist konnte in jeder Profirockband stehen, er könnte jedem den Arsch abspielen, wie Ritchie Blackmoore von den Deep Purple einst sagte.
Hinter den Musikern flattert der American Eagle, links hängen Dave Dudley und Truckstop, die Klotür bewacht Terence Hill alias „Nobody“. Unter der Decke Girlanden, vertrocknete Maibäume und alte Singles. Es ist tausendmal gemütlicher als in jeder Szenekneipe. Sogar der Hocker hat eine kleine Lehne, nur ein Brettchen zur Arschstützung, optimal bequem: Schade, daß ich mit dem Auto da bin, man möchte den Blues begießen, bis er tief unten im Glas ersäuft.
Blues ist nur der Ausgangspunkt, man spielt alles, was einmal in war, als man selbst noch in war. Der Cowboy mit standesgemäßem Hut wird, kurz bevor er sich aus dem Staub macht, doch noch zum Einstieg überredet. Er hängt sich in eines dieser Gestelle, die wie große Zahnspangen aussehen, die die Mundharmonika halten, packt die akustische Gitarre aus und singt den Country and Western Blues. Den Hut nimmt er nicht ab. Monica bringt noch eine Lage, es könnte ewig so weitergehen.
Alle Neugierigen, die die Reise in den Wedding scheuen, gehen einfach heut abend ins Statthaus Böcklerpark, zur sechsjährigen Geburtstagsparty, mit Jack Daniels und seinen Freunden.
Andreas Becker
Lands End Blues Session Geburtstagsfete mit The Crew Blues Band, Nameless Blues Band und Jack Daniels Blues Band. Heute um 20 Uhr im Statthaus Böcklerpark. Eintritt 10Mark.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen