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Das Schlimmste ist gekommen

■ Zum Urteil im Memmingen-Prozeß gegen den Frauenarzt Theissen

KOMMENTARE

Genau das Urteil wurde gefällt, das alle Frauen und Männer fürchteten, die gegen den Rückschritt in finsterste Zeiten sind, als Frauen auf dem Küchentisch verendeten. Zum erstenmal nach der Reform des Paragraphen 218 haben Richter sich angemaßt, Indikationen im nachhinein zu überprüfen und abzuerkennen. Damit steht jeder Arzt, der Indikationen ausstellt oder Abtreibungen macht, mit einem Bein im Gefängnis. Welcher Arzt ist unter diesen kriminellen Umständen zu Indikationsstellung und Abtreibung noch bereit? Die ungewollt schwangeren Frauen aber sind auf die Ärzte angewiesen und damit die eigentlichen Leidtragenden dieses Urteils.

Als dieser Abtreibungsprozeß sich acht lange Monate dahinquälte, konnte man schon erkennen, wie Ärzte, Frauen und Männer durch die massive Anklage eingeschüchtert waren. Frauen gingen nicht mehr davon aus, daß es in der Bundesrepublik für sie eine legale Möglichkeit gibt, abzutreiben. Sie fuhren wieder nach Holland. Mit diesem Urteil ist es Faktum: es gibt keine rechtliche Sicherheit für Frauen, die abtreiben. Jahre später lassen vielleicht Staatsanwälte die Patientinnenkartei ihres Frauenarztes durchschnüffeln, zerren den Arzt vor Gericht und stellen sie dazu - als Zeugin oder Angeklagte oder beides.

Dieser Zustand ist unerträglich. Wir haben ihn den politischen Gegnern jeglicher Reform des Paragraphen 218 zu verdanken, die sich seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts 1975 hinter den Juristen scharten. Als diese merkten, daß sie auf politischer Ebene bei der Mehrheit der Bevölkerung nicht durchsetzen können, besannen sie sich auf die Auslegungskunst der Rechtslehre. Angriffsziel war von Anfang an die Notlagenindikation. Das Verfahren gegen den Frauenarzt Theissen und seine Patientinnen war ihr Pilotprojekt. Erfolgreich haben sie es im streng katholischen und stockkonservativen Allgäu zum „Erfolg“ geführt.

Keinesfalls kann man das Memminger Urteil als einer der „typischen“ Fälle abtun, die südlich des Weißwurstäquators halt so passieren. In anderen Bundesländern sitzen nach diesem Urteilsspruch Staatsanwälte in den Startlöchern, begierig mit einem spektakulären Abtreibungsprozeß politisches Profil und beruflichen Aufstieg zu erlangen.

Auch die Revision, die die Verteidiger Theissens beantragen, wird das politische Desaster, das dieses Urteil auslöst, auf absehbare Zeit nicht ungeschehen machen. Obwohl die Richter mehrmals gegen die Regeln der Strafprozeßordnung verstießen, ist es keinesfalls sicher, ob der Bundesgerichtshof dem Antrag auf Revision stattgibt und das ganze Verfahren noch einmal neu aufgerollt wird. Aber selbst wenn dies geschieht, bleibt der Prozeß auch in höherer Instanz vor bayerischen Gerichten. Und damit ist es äußerst unwahrscheinlich, daß ein im Kern anderes Urteil fällt.

Was tun nach dieser Niederlage? Diese Frage stellt sich nun der Frauenbewegung und der kritischen Öffentlichkeit, die gegen den §218 arbeitet. Die Mehrheit der Bevölkerung in der Bundesrepublik erkennt in diesem Urteil tiefes Unrecht und Schikane gegen Frauen. Trotzdem gibt es keine Alternative zur politischen Aufklärung und zur praktischen Hilfe für ungewollt schwangere Frauen. Memmingen und seine furchtbaren Folgen ist erst dann überwunden, wenn auch der letzte Landrichter politisch hoffnungslos isoliert ist.

Gunhild Schöller

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