Swinging Metropolis

■ 27. Zweierlei Maß

„Es bleibt letztlich im Kampf gegen Swing und Jazz eigentlich stets beim Theaterdonner, bei Sticheleien, bei lokalen Erlassen; zu einer generellen gesetzlichen Verbotsregelung für den Swing aber kommt es nicht. Wir begegnen hier einem im Nationalsozialismus allgegenwärtigen Phänomen: Zwischen ideologischem Anspruch und Alltagsrealität klafft eine große Lücke.“ Soweit Klaus Krüger in einem Aufsatz zur jazzmusikalischen Situation im Zwölfjährigen Reich. Er entstammt dem soeben bei Transit erschienenen Band Swing Heil, herausgegeben von Bernd Polster; äußerst erhellend, abgesehen von einigen peinlichen Satzfehlern - somit taz-verwandt. (Aber wir machen eine Tageszeitung! Schon mal bei der Produktion vorbeigeschaut, Schätzchen? die k.)

Auf der einen Seite also Haß & Repressalien gegen das lästig lässige, unmilitärische Gebaren der SwingJugend, auf der anderen Volkes Wunsch, nicht nur das „Heideröslein“ & Linkszweidrei hören zu müssen - ein Wunsch, der bis in die Nazispitze wuchert. So geschiehts bei einem der letzten Comedian Harmonists-Konzerte in Stuttgart, daß ein verdummter junger Braunmieserich per Trillerpfeife die „volksfremden“ Gesänge zu stören sucht. Unter den zustimmenden Blicken anwesender SA- & SS-Führer wird er von Ordnern ins Freie expediert, die Uniformierten applaudieren ostentativ den Sangesbrüdern zu, und nach dem Auftritt laden sie jene zum Sekt - auch die drei Juden der Gruppe.

Der Journalist Walter Kwiecinski erzählt, wie während schlimmster Kriegshandlungen, 1944, in einem Nürnberger Lokal eine italienisch-tschechische Combo heiße Weisen von sich gibt. Die Stücke werden, wie üblich, mit deutschen Fantasietiteln angesagt. Und es ist kein Witz, als es plötzlich heißt: „Auf Wunsch des SS-Tisches da hinten in der Ecke spielen wir nun 'Some Of These Days‘.“

All die schizophrene Willkür spiegelt eine Geschichte Günter Dischers wider. Unbelehrbarer SwingHeini, bringt seine Vorliebe dem Hamburger drei Jahre KZ ein. Ein Extremfall, gewiß, aber wenn er von dem Nachtlokal berichtet, das da unangefochten & lautstark die Seeleute unterhalten darf mit Platten, schellackschwarz wie Harmonien & Beschaffungsweise, weil der Wirtin Gatte Polizist ist dann fehlt nur noch der Blick in Goebbels Plattenschrank. Da stehen dann „Originalaufnahmen aktueller amerikanischer Filmschlager (...), auch wenn die Komponisten George Gershwin oder Irving Berlin heißen und der verhaßten 'jüdischen Rasse‘ zugehören“ (Krüger). Außerdem glaube man nicht, daß all die konfiszierten Scheiben zerteppert werden; so mancher Opportunist hortet sie als heimlicher Fan.

Zweierlei Maß auch in der Martin-Luther-Straße. 1935 spielt sich in der dort gelegenen Scala Denkwürdiges ab; für einen Orchesterleiter, der sich nicht kleinkriegen läßt vielleicht weil er, wie Teddy Stauffer, Ausländer ist bedeutet dies das Aus in deutschen Landen. Zwar spielt der Rumäne James Kok zu 80 Prozent Titel wie „Bayerische Madln“, „Heimatland“ oder „Geburtstagsfeier bei der Nachtigall“ ein, aber wie so oft liegen Welten zwischen dem Plattenstudio & der LiveBühne. Die RMK (Reichsmusikkammer) schießt sich auf den virtuosen Geiger ein, und plötzlich scheint er irgendwie die Schnauze voll zu haben: Anfang 35 liefert er seine sechs JazzStandards ab, die sogar im verwöhnten England gelobt werden. Kurz darauf gibt die große britische Jack-Hylton -Band - umjubelt von da, begeifert von dort - ein Konzert in eben der Scala. Kok nutzt die Gelegenheit anzuecken; in aller Öffentlichkeit überreicht er Hylton einen Kranz mit Schleife. Auf letzterer steht deutlich zu lesen: „Allen bärtigen Kritikern zum Trotz, kommen Sie wieder, Meister Hylton - James Kok und sein Orchester.“ Leicht läßt sich denken, daß nun der Schaum vorm Mund über des Fasses Rand platscht. Der Ungeliebte wird endlich ausgewiesen. Was einen Dreck nutzt, denn Erich „Funny“ Bauschke übernimmt Koks Band, im Sinne seines Freundes weiterzu„pinseln“ (worunter wir die Tätigkeit des Dirigierens zu verstehen haben).

Dieser verdammte „JazzBazillus“ ist einfach nicht auszurotten, darf doch - und hier haben wir wieder ein „andererseits“ - ScalaChef Eduard Duisberg die Gegner des Swing ungestraft als „blutleere Ideologen“ bezeichnen. Unsicherheit herrscht an allen Ecken & Kanten. Schauen wir uns beispielsweise den legendären Sammler Kurt Michaelis an. Jene schillernde Figur trampt 1933 (!) nach London, um Louis Armstrong zu erleben. Besitzer von fast hundert verschiedenen Aufnahmen des „Tiger Rag“, ist er über die Grenzen seiner Heimatstadt hinaus als „Hot-Geier“ bekannt. Im nachsichtigeren Klima des Olympia-Jahres 1936 (mit dem sich die Nazis ganz schön was eingebrockt haben) befördert die Reichspost eine Reklamekarte folgenden Wortlautes aus Berlins SpzialistenJazzclub Sherbini an „Hot-Geier Curt Michaelis, Leipzig N22, Halberstädter Straße“:

„Dear Geyrus! Eben raste der 1001. Tiger Rag als Quick -Masche an mir vorüber. Flemming (Herb Flemming, ein Posaunist, der noch von Zeiten der Sam-Wooding-Auftritte „übrig“ ist, darf erstaunlicherweise auftreten - als eine Art VorzeigeNeger) wurde beinahe an einer 'Hot Kurve‘ aus der Trombone geschleudert. Schulze (gemeint ist der späterhin als „ZickendrahtPianist“, als „Schräger“ bzw. „Crazy Otto“ berühmte Fritz Schulz-Reichel) zerbog das Klavier im Teddy-Wilson-Stil und eine Negerin fauchte mit einem wackelgeschwänzelten Bobo dem aus dem Swing-Dickicht hottenden Tiger entgegen. Alle lassen Dich grüssen! Weine Tränen, weil alles noch beim alten ist - Jochen.“

Norbert Tefelski