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Abtreibung stört Burgfrieden mit Polens Kirche

Erste polnische Demonstration gegen Verschärfung des Abtreibungsgesetzes / Drei Jahre Gefängnis für Abbrüche egal aus welchem Grund von katholischen Abgeordneten gefordert / Studentische Gegeninitiative mobilisierte über tausend Polen und Polinnen  ■  Aus Warschau Klaus Bachmann

„Warum nicht gleich die Todesstrafe für Abtreibung? Wenn Abtreibung Mord ist, wäre das bloß konsequent“, brüllt ein älterer Mann mit hochrotem Kopf. Auch das Gesicht seiner Begleiterin ist krebsrot vor Erregung und Zorn. Zusammen mit zwei weiteren Frauen brüllt sie pausenlos auf einen bleichen, zitternden, aber nichtsdestotrotz ebenfalls aus vollem Hals brüllenden Jungen ein. Der Junge, offenbar von der naheliegenden Kirche delegiert, hält eisern ein Schild mit einem stilisierten Fötus hoch: „Jedes Kind hat ein Recht auf Leben.“ Fehl am Platze, vor dem Kopernikusdenkmal in der Warschauer Innenstadt, fand gestern die erste Demonstration im Nachkriegspolen statt, die sich gegen eine Verschärfung des bestehenden Abtreibungsgesetzes wandte. Obwohl das Thema buchstäblich jeden angeht, war es jahrzehntelang tabu und wurde ausschließlich den kirchlichen Lebensschützern überlassen. Daß sich das jetzt geändert hat, ist ausgerechnet auf eine Gesetzesinitiative einer katholischen Abgeordnetengruppe zurückzuführen, die für jede Art von Schwangerschaftsabbruch eine dreijährige Gefängnisstrafe vorsieht, sowohl für die behandelnden Ärzte als auch für die betroffenen Frauen. Wer eine Frau zu einem Abbruch anhält, sie dazu überredet oder gar zwingt, muß sogar mit fünf Jahren Gefängnis rechnen.

Als Reaktion auf diese drakonischen Vorschläge hat sich an der Warschauer Universität eine kleine Gruppe von Studenten und Studentinnen zusammengefunden, die nun zu einer Demonstration gegen die Verschärfung aufriefen. Am Samstag folgten ihrem Aufruf über tausend Männer und Frauen. Schon die Transparente wiesen daraufhin, daß das Für und Wider zu diesem Thema durch alle politischen Lager geht. Eine Gruppe parteiloser Kommunisten ist gekommen („Stopp dem Klerikalismus“), eine Gruppe von Freiheit und Frieden (WIP) ist aus dem 500 Kilometer entfernten Opole angereist, es protestiert die illegale Sozialistische Partei (PPS) („Der Paragraph als bestes Verhütungsmittel?“) und eine Gruppe Redakteurinnen von Frauenzeitschriften. Von der benachbarten Kirche kommt nicht, wie zuerst befürchtet, Buttersäure; man hat dort nur ein Gegenplakat angebracht: „500.000 ermordete Kinder pro Jahr sind ein unbewußter Holocaust.“

Solange in Polen Demokratie noch ein Wunschtraum war, solange hielt auch der Burgfrieden mit der Kirche. „Ich bin ja auch gegen das Gesetzesprojekt“, gibt ein Solidarnosc -Funktionär zu, „aber wir können uns doch jetzt keinen Konflikt mit der Kirche leisten.“ Da diese während des Kriegsrechts die einzige intakt gebliebene Autorität gegen das Regime war, akzeptierten die meisten Polinnen nach außen hin auch deren Haltung zur Abtreibung und Verhütung. Das hinderte sie nicht dennoch zu tun, was sie für richtig hielten. Die offizielle Statistik von einer halben Million Abtreibungen pro Jahr zeigt das.

Dem Gesetzesvorhaben stellen sich nach Auskunft der Demoorganisatoren bisher über 6.000 Menschen entgegen, die eine entsprechende Petition unterschrieben haben. Vierzig Unterschriften bekannter polnischer Intellektueller sind dabei, aber deren Namen werden geheimgehalten. Die Intellektuellen wünschen nämlich keinen Konflikt mit der Kirche. Zugleich führt das Parteiorgan 'Trybuna Ludu‘ eine entsprechende Kampagne in ihren Leserbrief- und Kommentarspalten. In der Opposition vermutet man, daß die Partei bei der Diskussion um das Thema Abtreibung eine Möglichkeit sieht, die Kirche um einen Teil ihres Einflusses in der Bevölkerung zu bringen. Es sei kein Zufall, daß das Thema ausgerechnet während des Wahlkampfes hochgekommen sei.

Die Initiatoren der Demonstration wollen keine Politisierung. Während der Demonstration wollten auch einige Sejm- und Senatskandidaten sprechen und Unterschriften sammeln. Kaum fingen sie an, vom Wahlkampf zu sprechen, drehte man ihnen das Mikrophon ab.

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