: Der Preis des Wachstums
Die deutsche Holzindustrie beklagt jährlich Einkommensverluste in Milliardenhöhe durch das Waldsterben in einer Bilanz taucht das nicht auf. Die Fischer der Nordsee müssen durch die Gewässerverschmutzung immer geringere Fangergebnisse hinnehmen - bilanztechnisch wird das nicht erfaßt. Erkrankungen von Chemiearbeitern, ausgelöst durch schädliche Umwelteinflüsse, lassen die Kasse bei Ärzten, Geräteherstellern und Pharmaunternehmen klingeln. Der Autoverkehr fordert jährlich Tausende von Menschenleben und sichert zugleich den Absatz bei den Automobilherstellern.
Alle vier Beispiele illustrieren die negativen Folgekosten unseres Wirtschaftssystems. „Die Schattenseiten des Wachstums“ hat Dr. Christian Leipert vom Berliner Wissenschaftszentrum das volkswirtschaftliche Phänomen genannt. In die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung gehen diese Verluste entweder überhaupt nicht ein, oder sie täuschen einen Wohlstandszuwachs vor, obwohl es sich tatsächlich um Reaparaturkosten des Systems handelt.
Dr. Leipert kommt in einer Untersuchung zu dem Ergebnis, daß bereits 1985 mindestens 160 Milliarden Mark aufgebracht werden mußten, um ökologische oder soziale Schäden zu beseitigen oder zu verhindern. Das ist bereits ein Zehntel des Bruttosozialprodukts der Bundesrepublik, obwohl eine Reihe von Schäden überhaupt nicht berechnet werden konnten. Die Grünen schätzen deswegen, die Belastungen machten bereits ein Fünftel des Bruttosozialprodukts aus. Leipert kommt zu dem Ergebnis, die negativen Folgekosten als „zweite Seite der Wirtschaftsmedaille“ steigen fast viermal so schnell wie das Bruttosozialprodukt: „Das Wachstum ... profitiert zunehmend von den Schäden, Nachteilen und strukturellen Verschlechterungen, die es selbst produziert.“
Die Folgekosten treffen vor allem die Bereiche Umwelt, Verkehr, Wohnen, Sicherheit und Gesundheit. Sie äußern sich in Einkommens- oder Vermögensverlusten durch Bodenverunreinigung oder Fischsterben sowie in sozialen Kosten durch umweltbedingte Krankheiten und dem Verlust an Lebensqualität. Die sozialen Folgekosten, die der Autoverkehr der Gesellschaft aufbürdet, berechnet beispielsweise Prof. Lutz Wicke vom Umweltbundesamt auf 50 Milliarden Mark jährlich. Die Kosten zur Beseitigung von Industrialisierungsschäden zum Schutz vor Lawinen als Folge des Waldsterbens, vor Überschwemmungen und Erdrutschen gehen ebenfalls in die Milliarden. Unabsehbare Belastungen stehen der Bundesrepublik durch die Altlastsanierung, durch notwendige Bodenreinigung und Gebäudeschäden durch verunreinigte Luft ins Haus. Auch die Kosten für die Beseitigung der jährlich wachsenden Müllawine sind hinzuzurechnen.
Über 40 Milliarden Mark des Bruttosozialprodukts sind defensive Gesundheitskosten für zivilisatorische Gesundheisschäden, darunter Krebs- und Kreislauferkrankungen, fand Leipert heraus. 20 Milliarden Mark müssen für Maßnahmen im Bereich der Sicherheit ausgegeben werden; zwölf Milliarden Mark berechnet Leipert für Mehrausgaben für höhere Bodenpreise und Mieten in Ballungsräumen. Daneben gibt die Gesellschaft bereits jetzt 33 Milliarden Mark direkt für die Reparatur von Umweltschäden aus.
In bestimmten Bereichen sind die Steigerungsraten noch gravierender. Die Kosten der Grundwasserreinigung betrugen in den fünfziger Jahren einen Pfennig pro Kubikmeter. Durch die zunehmende Verseuchung mit Nitraten und Pestiziden sind die Kosten bereits auf dreißig Pfennig pro Kubikmeter gestiegen. Absehbar ist ein Preis von einer Mark pro Kubikmeter.
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