Ein Generalstreik, der keinem weh tut

Mit dem ersten großen Ausstand der achtziger Jahre proben die großen italienischen Gewerkschaften die „neue Gemeinsamkeit“ / Verunsicherung herrscht wohl aber eher bei den Arbeitnehmern als bei Industrie und Regierung  ■  Aus Lazium Werner Raith

„Streiken?“ fragt Maestra Silvana von der Zwergschule in Porto Badino südlich von Rom. „Was glauben Sie, wieviel ich in meinem Leben schon gestreikt habe. Irgendwann hab‘ ich keine Lust mehr dazu.“ Giulio vom Kaufhaus Pagiaro an der Via Mediana hat einen anderen Grund für den Streikbruch: „Wir kriegen heute Lieferungen, da müssen wir offen haben.“ Roberta vom Danimarket erklärt: „Mir hat keiner gesagt, daß heute Generalstreik ist. Und was sollte ich damit erreichen?“

In Sonnino, westlich von Rom, Geburtsort des PCI-Vordenkers Pietro Ingrao, haben zwar einige Geschäfte zu, aber aus der

-geschlossenen - Bar beim Rathaus tönt unentwegt Adriano Celentanos Chi non lavora non fa l'amore, wer nicht arbeitet, bumst auch nicht. Die Frau des Besitzers ist am Werk.

Sicher: die Züge stehen still, Busse, Trams sind in ihren Hallen geblieben, Ämter und Banken haben nicht aufgemacht. Dennoch: der erste seit dem schmählichen Zusammenbruch des Fiat-Streiks vor zehn Jahren wieder von allen drei großen Gewerkschaften getragene Generalstreik wird eher der Arbeiterbewegung neue Selbstverständnisprobleme verschaffen als Regierung und Industrie schädigen.

Dabei hat sich eine Fülle von Gründen für den Unmut der Italiener aufgestaut. Für Arbeiter und Angestellte, für die gesamte Bevölkerung: ein total verfallener öffentlicher Dienst (die Briefzustellung dauert Wochen, das Transportwesen bricht zusammen), das Gesundheitswesen versinkt im Chaos, Tarifverträge wurden seit Jahren nicht erneuert, Industrielle üben unverhüllt Druck gegen Arbeitervertreter aus. Daß die großen Gewerkschaften CGIL (kommunistisch beherrscht), CISL (katholisch) und UIL (sozialistisch) einen Generalstreik zum Ausdruck der allgemeinen Unzufriedenheit ausriefen, sollte also nicht verwundern.

In den großen Betrieben wie Fiat und Alfa Romeo lag die Streikbeteiligung nach Gewerkschaftsangaben bei 70 Prozent. In vielen Städten gab es auch Massenveranstaltungen und Kundgebungen. Die Regierung zeigte sich dennoch unbeindruckt.

Erstaunlich ist dieser vierstündige Generalstreik unter mehreren anderen Aspekten. Bemerkenswert ist zunächst schon einmal, daß die drei großen Gewerkschaften erstmals wieder an einem Strang ziehen. Sensationell erscheint zudem, daß der machtbewußte Sozialistenführer Bettino Craxi den Streik lauthals verurteilt - die sozialistich dominierte UIL aber massiv mitmacht. „Die großen Arbeiterführer“, hatte Craxi getönt, „hätten niemals einen Generalstreik wegen eines begrenzten Problems ausgerufen“. Doch da blökte ausgerechnet der bisher so linientreue UIL-Chef Giorgio Benvenuto : „Die großen Arbeiterführer hätten sich aber bestimmt auch nicht dauernd von einem Parteichef dreinreden lassen.“

Irritiert hat den Gewerkschafter vor allem, daß Craxi noch im Januar, als schon mal ein Generalstreik drohte, „volles Verständnis“ für die Arbeiter gezeigt und die von ihm mitgetragene Koalitionsregierung des Christdemokraten Ciriaco de Mita zu einigen kosmetischen Korrekturen der umstrittensten Beschlüsse gezwungen hatte, etwa in der Frage der Beteiligung an Krankheitskosten und der zusätzlichen Besteuerung der unteren Einkommensklassen. Nach Meinungsumfragen des Magazins 'Panorama‘ finden noch immer mehr als 85 Prozent der Italiener auch die geschönten Beschlüsse ungerecht, hadern mit ihrer Regierung und erklären - dies zu 68 Prozent -, daß man „mit allen Mitteln dagegen vorgehen muß.

Dennoch wird der Aufruf zum Generalstreik lediglich in den „großen“ Sektoren Dienstleistung und Industrie einigermaßen befolgt. Das hängt weniger damit zusammen, daß Italien seit je eine besondere Form der „totalen“ Arbeitsniederlegung praktiziert (die Tankstelle ist zu - das Benzin bekommt man hinter dem Haus; die Kellner streiken, dafür arbeiten heute Onkel, Tante und Oma des Besitzers mit).

Offenbar erachten viele Italiener den Generalstreik nicht mehr als adäquate Form des Protestes. „Man muß sich was anderes ausdenken als diese Großväteraktionen“, sinniert ein Betriebsrat, „oder zumindest den Streik nicht so windelweich konzipieren wie diesmal. Die Gewerkschaften wollen streiken, aber weh tun wollen sie keinem.“

In der Tat haben die Gewerkschaften solche Differenzierungen vorgenommen, daß von der Idee des „Generalstreiks“ allenfalls das nostalgische Wort geblieben ist: So galt der Aufruf den Journalisten für den ganzen Tag (Dienstag), den Ladengeschäften für den ganzen Vormittag, den Matrosen und den Bankangestellten für vier Stunden von 9 bis 13 Uhr, dem Zugpersonal für die zwei Stunden von 9 bis 11 Uhr - und die Fluglotsen streikten gar nur eine symbolische Minute lang. Die Kinos verzichteten auf die ersten Nachmittagsaufführungen, die Theater dagegen auf sämtliche Vorstellungen. Gipfelpunkt der Skurrilität: Jener Sektor, um den es vor allem geht, das Gesundheitswesen, streikt überhaupt nicht. „Wir tun regulären Dienst“, verklickern die Medici und Schwestern vornehm ihren ungewohnten Eifer, „um den Patienten zu erklären, warum heute Generalstreik ist.“

Ein sensationeller Einsatz geradezu, wenn nicht ausgerechnet Mittwoch wäre - da nämlich haben nahezu alle Ärzte sowieso keine Sprechstunde und in den Kliniken ist nur Notfalldienst.