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„Bislang keine Besserung im Knast unter Rot-Grün“

■ Drogenabhängige Frauen in der Haftanstalt Plötzensee werfen Alternativer Liste und Sozialdemokraten „Verrat“ an den Koalitionsvereinbarungen vor / Der Hungerstreik der Frauen geht weiter / Heute beraten Justizpolitiker Forderungen der Frauen

Fünf Wochen nach Beginn des unbefristeten Hungerstreiks von Gefangenen in der Frauenhaftanstalt Plötzensee wird dort heute ein Gespräch der Anstaltsleitung und der politisch Verantwortlichen für den Strafvollzug stattfinden. Nach Angaben von Justizsprecher Christoffel ist der Anlaß für die Besprechung die „häufig geübte Kritik an zu einschränkenden Maßnahmen in der Frauenhaftanstalt gegenüber drogenabhängigen Gefangenen“.

An der Unterredung teilnehmen werden der Anstaltsleiter des Frauenknasts, der Leiter der Abteilung Strafvollzug in der Senatsverwaltung Flügge, Vertreter des Anstaltsbeirats sowie Abgeordnete von SPD und AL. Ausführlich besprochen werden sollen dem Justizsprecher zufolge insbesondere die Haftbedingungen „in Hinblick auf die Kontaktmöglichkeiten der Gefangenen untereinander und die Form der Außenkontakte wie Postkontrolle und Besuchsüberwachung“.

Wie berichtet, waren in der Frauenhaftanstalt Plötzensee am 13. März dieses Jahres - knapp anderthalb Monate nach dem Beginn des Hungerstreiks der RAF-Gefangenen - 49 Frauen in einen zunächst auf drei Tage begrenzten Warnhungerstreik getreten. In einer Erklärung hatten sie ihre Solidarität mit den RAF-Gefangenen und deren Forderung nach Zusammenlegung betont, gleichzeitig aber einen umfassenden, eigenen Forderungskatalog präsentiert.

„Die Grenze ist erreicht“, hieß es, „seit Ende 1988 tobt die Anstalt erneut ihren Sicherheitswahn an uns aus.“ Erhoben wurden ähnliche Forderungen wie bei dem Hungerstreik im Sommer 1987, an dem hauptsächlich drogenabhängige Gefangene teilgenommen hatten und der nach drei Wochen ohne Ergebnis abgebrochen worden war: die Öffnung sämtlicher 10er und 15er Stationseinheiten aller Häuser, in denen die Gefangenen nach Alterskriterien und Drogenabhängigkeit, U -Haft etc. voneinander getrennt sind.

Gefordert werden Großgruppen, „die selbstbestimmte Zusammenlegung und Zusammenschlüsse innerhalb der offenen Häuser, das heißt auch mit den Frauen aus anderen Häusern“. Ferner wird der Zugang zu allen Gemeischaftshöfen gefordert, die Aufhebung der Post- und Bücherzensur, die Abschaffung der Zwangsarbeit, verlangt wurden Tariflöhne und eine Mitgliedschaft in einer gesetzlichen Krankenversicherung.

Nach mehreren Warnhungerstreiks - an denen bis zu 70 Frauen teilgenommen haben sollen - traten die Gefangenen Silvia Bellersheim (30) und Birgit Kursawe (32) am 7. April in den unbefristeten Hungerstreik. Die beiden Frauen, die wegen Betäubungsmittelmißbrauchs einsitzen, hatten sich schon an dem letzten Hungerstreik 1987 beteiligt. Beide hielten Kontakt zu den RAF-Gefangenen Goder und Rollnick, als diese in Plötzensee einsaßen. Nach einem weiteren Warnhungerstreiks stießen am 20. April die Gefangenen Pascale Loore und Renate Steffenhagen zu den beiden unbefristet Hungernden. Laut Presseerklärung wollen heute noch drei weitere Gefangene - Carola Stöhr, Angela Mahmood und Regina Fröschke - hinzukommen: „Die meisten von uns sind HIV-positiv, Hungerstreiks schwächen das Immunabwehrsystem“, heißt es in einer neuen, von allen sieben Frauen unterschriebenen Erklärung, in der der Senat nochmals aufgefordert wird, die Forderungen zu erfüllen: „Das ist machbar, wir wollen endlich wie Menschen behandelt werden, das ist nicht zuviel.“

Für machbar wird die Erfüllung der Forderungen - bis auf solche, wie die Abschaffung der Zwangsarbeit, die Bundesrecht betreffen - zwar auch von der AL gehalten, aber sie war bislang machtlos.

Der Leiter der Abteilung für Strafvollzug Flügge (SPD) sprach hingegen von „schlichtweg unrealistischen“ Forderungen. Silvia Bellersheim und Birgit Kursawe werteten das in einem Gespräch mit der taz so, daß die SPD ihre Koalitionsvereinbarung „ganz offen verraten“ habe. „Inzwischen fängt der offene Vollzug bei ihnen (dem Senat, d.Red.) ja schon bei den Stationstüren an, und selbst dafür brauchen sie zehn Jahre“, sagte Silvia Bellersheim. Außerdem habe ein Senatsvertreter bei einem Besuch der hungerstreikenden Gefangenen im Knast „ganz klar gesagt“, daß drogenabhängige Gefangene - bei denen die Verwaltung davon ausgeht, daß sie sowieso weiter drücken und nicht wiederkommen - nicht in den offenen Knast gepackt werden können.

Auf die Frage, ob sich unter dem rot-grünen Senat für die Gefangenen überhaupt schon etwas zum Positiven hin verändert habe, erklärte Kursawe, daß das Gegenteil der Fall sei: Die Einschränkungen des alten Senats, nach der nur noch eine begrenzte Zahl von Frauen an den Sportveranstaltungen teilnehmen könne, sei vom neuen Senat sogar noch auf die anderen Kurse ausgedehnt worden.

Im Gegensatz zum Hungerstreik 1987 würden sie den Hungerstreik diesmal nicht abbrechen, sagten die beiden Gefangenen. Der Grund: Vom Knast und Behandlungsvollzug seien „alle bedroht“, die draußen Widerstand leisteten. Darum würde es eine „offene Rechnung bleiben“, wenn hier nichts passiert.

plu

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