Preußen-betr.: "Der Irak - das arabische Preußen", taz vom 6.5.89

betr.: „Der Irak - das 'arabische Preußen'“, taz vom 6.5.89

Mag sein, daß bei historisch unbelasteten Amerikanern ein Preußenbild vorherrscht, das den Vergleich mit einer unmenschlichen Diktatur erträgt. Sie dagegen sollten es vermeiden, den Irrtum durch eine große Überschrift aufzuwerten.

Über lange Zeiträume hinweg gehörte Preußen zu den fortschrittlichsten Staaten der Welt. Bereits 1740 wurden Folter (bis auf Hochverratsvergehen) und Pressezensur abgeschafft. Der erste Rechtsstaat Europas hieß ebenso Preußen. Natürlich gab es auch düstere Zeiten, wie die der Reaktion von 1815 bis 1848; einer Zeit des Rückschritts, die sich nicht nur auf den Staat zwischen Maas und Memel beschränkte, sondern den gesamten Erdteil erfaßte. Aber ab 1920 bildete Borussia das große demokratische Bollwerk in Weimar-Deutschland, wenige Jahre später leisteten hunderte von deutschen Offizieren in Verbindung mit dem preußischen Adel Widerstand gegen die nationalsozialistische Diktatur und das nicht erst am 20.Juli 1944. Neben Rechtsstaatlichkeit und aktiver Toleranz gehört auch der sehende Gehorsam zu den Primärtugenden des Preußischen Geistes.

Diese Fakten sind vielen Zeitgenossen unbekannt, nicht zuletzt durch die von den Nationalsozialisten unüberprüft übernommenen Preußenklischees, mit denen Goebbels versucht hatte, der „Bewegung“ einen historischen Hintergrund zu liefern (vom Großen Kurfürsten zu Hitler).

Gerade im Zeichen wachsender Ausländerfeindlichkeit auch „konservativer Kreise“ sollte die Chance nicht verpaßt werden, an die liberale Emigrantenpolitik preußischer Könige und Kurfürsten zu erinnern. Das gelingt aber nur dann, wenn die Geschichte des größten deutschen Bundesstaates objektiv und vorurteilsfrei vermittelt wird. Klischees einiger Amerikaner helfen da wenig.

Guido Bulirsch, Hamburg 54