Volksbildung hinter Waschbeton-Fassade

■ Die Urania bemüht sich, vom altbackenen und angestaubten Image wegzukommen und eine „Wende an die Öffentlichkeit“ zu vollziehen / Neben Hermann Löns steht auch Otto Schily auf dem Programm / Seit 1888 wird in der Urania das Volk gebildet

Im alten Griechenland war Urania der Beiname der Liebesgöttin Aphrodite, ab 1888 wurde „Urania“ zum Synonym für wissenschaftliche Volksbildung. Bis vor sechs Jahren bestimmten Rentnerinnen das Bild und die Inhalte der Berliner Erwachsenenbildungseinrichtung Urania. Diavorträge über „die Blumenwelt Madeiras“ oder „neue Behandlungsmöglichkeiten bei Bandscheibenvorfällen im Lendenbereich“ trugen bei zur Imagebildung der Urania als einer etwas angestaubten Einrichtung für die Freizeitgestaltung der älteren Generation. Es hat sich aber etwas getan hinter der Waschbeton-Fassade mit der praktischen Kastenform und dem Ambiente der frühen sechziger Jahre.

Die Urania steckte in der Krise. Das Programm, hauptsächlich auf die Bildungsbedürfnisse der Vereinsmitglieder zugeschnitten, konnte „niemanden mehr hinter dem Ofen hervorlocken“, beschreibt Urania-Direktor Dr. Ebel die Zustände, und auch bei den Besuchern mußte eine zunehmende Vergreisung festgestellt werden. Seit 1970 nahmen die Mitgliederzahlen zusehends ab, „am Ende waren lauter alte Damen übrig“ - die Zeit für Veränderungen war gekommen. 1983 erhielt die Urania einen neuen Direktor. Seitdem versucht Dr. Ebel zwar, das alte Publikum mit dem Gewohnten zu bedienen, aber auch Wissenschaftliches nach dem neuesten Stand der Erkenntnis an den Mann und die Frau zu bringen, eine „Wende an die Öffentlichkeit“ durchzusetzen. Die Urania sollte „weg vom landeskundlichen Schwerpunkt“. Politische Themen locken, wissenschaftlich aufgearbeitet, neue Besucher an.

Dabei versteht sich die Urania als „neutraler Ort“, Politiker dürfen zwar Vorträge halten, sich aber nur über politische Grundsatzfragen verbreiten, Konzepte für die Zukunft beispielsweise vorstellen. So nutzte denn in der Vergangenheit die bekannte Garde von Stobbe bis Kohl die Urania auch als Ort für die eigene PR. Dem wissenschaftlichen Anspruch werden die Vortragenden dabei laut Ebel je nach Talent gerecht. Tages- oder parteipolitische Themen sind aber verpönt. So spricht Otto Schily nicht über „die Grünen als politische Kraft“, sondern zur „Neuen Stadt“.

Rund 170.000 Besucher zählt die Urania pro Jahr. Durch die „Berliner Filmfestspiele“, die seit zwei Jahren die Urania als Vorführungsort nutzen, kommen neue Besuchergruppen hinzu, ansonsten sind die Besucher „so richtiger Berliner Durchschnitt“. Die 35- bis 45jährigen aus allen Berufsgruppen bilden den Hauptteil der Vereinsmitglieder.

Die wissenschaftliche Erkenntnis und deren Vermittlung an das „gemeine Volk“ war die Absicht, die zur Gründung der Urania 1888 führte. Wilhelm Meyer, Astronom und Schriftsteller, und Wilhelm Foerster, der zweite Direktor der Berliner Sternwarte, wollten über die „Verbreitung der Freude an der Naturerkenntnis“ wissenschaftliches Denken lehren und so zu rationalerem Handeln verhelfen - getreu ihrem geistigen Vorbild Alexander von Humboldt. Das nötige Kapital für die Aktiengesellschaft Urania stellten vor allem Berliner Bankiers und Kaufleute zur Verfügung. Ihren ersten Wohnsitz fand die Sternwarte der Urania in der Invalidenstraße, während das von Meyer erfundene „Wissenschaftliche Theater“ ein zweites Gebäude in der Taubenstraße bezog. Die Besucher setzten sich vor allem aus höheren Beamten und Lehrern zusammen. Vorträge hielten neben Albert Einstein auch Max Planck, Edison und Röntgen. Den BesucherInnen standen Experimentiersäle zur Verfügung, die Urania war in naturwissenschaftliche Abteilungen gegliedert. Das Institut bestand aus einer physikalischen, einer mikroskopischen, einer Abteilung für Präzisionstechnik und dem besagten wissenschaftlichen Theater.

Bis zu ihrer Reinstallation 1962 in ihrer heutigen Form hat die Urania eine bewegte Geschichte hinter sich gebracht. Während der Weltwirtschaftskrise in den zwanziger Jahren mußte die Aktiengesellschaft in einen Verein umgewandelt werden, weil die Aktionäre ihr Geld wiederhaben wollten. Die Urania wechselte des öfteren die Adresse, nach dem Zweiten Weltkrieg existierte sie bis zu ihrer Neugründung 1953 faktisch nicht mehr. In den folgenden Jahren hielten unter anderen Adorno, Ernst Deutsch, Erich Kästner, Konrad Lorenz und Elisabeth Bergner Vorträge und Lesungen.

Die Urania versteht sich seit jeher als „neutraler Ort“, als „Forum in der Mitte zwischen allem, ohne Rücksichten auf diplomatische Hemmnisse und politische Schwierigkeiten“. Der Vereinsvorstand hat generell die Entscheidungsgewalt über die Themen der Urania. Dr. Ebel und seine vier Mitarbeiter suchen aber Themen und Referenten selbst aus, und sei es, indem das Vorlesungsverzeichnis der Universitäten nach Interessantem abgesucht wird. „An der Urania sprechen zu können, gilt als Ehre“, sagt Ebel. Heute hat die Urania 16 MitarbeiterInnen, sie finanziert sich aus Mitgliederbeiträgen, Einnahmen aus den Veranstaltungen und nur zu zehn Prozent aus öffentlichen Mitteln.

Am 2.Mai begann eine neue Vortragsrunde. Wer will, kann dann Frigga Haug fragen, ob Moral „zweigeschlechtlich wie der Mensch“ ist, oder von Gesine Schwan die (In-)Kongruenz von marxistischer Lehre und Realität erklärt bekommen. Auf dem Programm stehen neben aktueller Wissenschaft Themen zu Recht, Medizin, Psychologie, Literatur, Geschichte oder Religion. Die Länderkunde ist mit einem Anteil von 25 Prozent vertreten. Frau/man kann auf den „Spuren von Hermann Löns durch Pommernellen“ geleitet werden, aber auch einem Vertreter von Greenpeace zu Fragen Gewässerschutz und -schmutz lauschen.

Die Urania hat einen Imagewechsel vollzogen. Sie ist nicht mehr (nur) der angestaubte Rentnerinnenklub. Eine Wende aber zu einem Forum für politische Debatten in der Stadt wird sie nicht vollziehen. Dies ist nicht ihr Sinn und Zweck gewollt ist klassische Bildung für alle.

Anke Borcherding