„Am liebsten Geburtshilfe gemacht!“

■ taz-Gespräch mit dem Memminger Frauenarzt Dr. Horst Theissen / Der wegen Abtreibungen verurteilte Arzt wird von BremerInnen ermutigt / „Mein Vorgehen sollten wir als erstrebenswert hinstellen“

taz: Auf der Hafa sind Sie vom Publikum ja richtig gefeiert worden - erleben Sie das öfter?

Theissen: Den ganzen Tag - und nur zustimmend! Das stimmt schon, wie die AZ extra mit Fragezeichen schrieb: 'Im Namen des Volkes?‘ Nachweislich wurde mein ärztliches Handeln als einwandfrei dargestellt, ich habe mir menschlich nichts vorzuwerfen...

Hätten Sie sich offensive Unterstützung nicht auch von KollegInnen, vor allem aber von der Ärztekammer gewünscht? Das blieb ja aus.

Theissen: Die ringen sich nur zu was durch, wenn es um die Gebührenordnung geht. Eigentlich hätte man eine Reaktion erwarten müssen, weil das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patientin vor Gericht eklatant verletzt worden ist

-aber die haben in erster Linie in mir den Abtreiber gesehen. Unabhängig vom 218 hätte man wegen der Verletzung der Schweigepflicht heftigst reagieren müssen. Ein schlimmer Beweis für den undemokratischen Ärztestand.

Im konservativen Bayern muß es doch, wenn auch als unauffällige Einzelkämpfer, mehr Ärztinnen und Ärzte geben wie Sie - warum haben Sie sich nicht für 218-Indikationen oder Beratungen mit so einem Kollegen zusammengetan?

Theissen: Die ersten Jahre hatte

ich einen praktischen Arzt, der das mit mir gemacht hat. Bei anderen haben manchmal Hausärzte was gemacht. Und dann haben sich halt die anderen Situationen auch so ergeben. Zum größten Teil wollten die Frauen auch keine anderen Ärzte.Ich dachte auch, daß die Tatsache, daß ich das ambulant mache, schon so strafbar ist, daß man auf das andere gleich verzichten kann.

Der § 218 ist doch ein Bundesgesetz. Inwiefern kann Bayern ambulante Abtreibungen verbieten?

Theissen: Bayern hat, ebenso wie Niedersachsen und Baden -Württemberg, keine Durchführungsbestimmungen für das Bundesgesetz erlassen. Deshalb kommen die aus Niedersachsen ja alle zu Pro Familia nach Bremen! Wenn ich die Beratung hätte machen lassen und die Indikation eines zweiten Arztes eingeholt hätte, wäre das nur mit einer Geldstrafe als Ordnungswidrigkeit abgetan worden. Aber ich selber hab für die Beratung ja gute Qualifikationen mitgebracht, also rein inhaltlich konnte ich das genausogut und stand Tag und Nacht und am Wochenende zur Verfügung...

Politisch würden Sie die Fristenlösung, also die völlige Freigabe der Abtreibung etwa in den ersten drei Monaten, befürworten?

Theissen: Ja, sowieso, das ist ja nicht mehr zu umgehen. Sogar auch die ganze Freigabe - da müßte man sich einigen, wie weit das geht. Bei der fortgeschrittenen Schwangerschaft, das war ja bei den Grünen mal im Gespräch, da hätte ich auch nichts dagegen, daß das freigegeben wird, aber ich würde es selber nicht mehr machen wollen so spät.

In den Debatten geht es immer um die Frage 'Wann beginnt das Leben‘ - Leben ist es ja unbestreitbar von Anfang an.

Theissen: Ja, das ist Blödsinn. Man muß halt das eine Leben der existent vor einem sitzenden Mutter gegen das Leben des Ungeborenen setzen. In der Medizin gibt es immer Grenzsituationen, wo man sich entscheiden muß... Wenn man Realist ist, kann man Abteibungen nicht ablehnen.

Haben Sie denn einen eigenen Standpunkt in der Frage Fristenlösung für drei Monate, Abtreibung für bestimmte Fälle?

Theissen: Wenn ich das so spontan sagen soll, ist für mich die Fristenlösung das Realistischste, aber ich möchte mir offenhalten, das man das auch unter andern Situationen machen können dürfte, nach irgendwelchen Maßgaben.

Sicher muß da was passieren. Diese furchtbare Dame da in der Talkshow, („3 nach neun“, Red.) die Christin für das Leben, die hat ja förmlich aufgejubelt, als ich gesagt habe, daß der Leidensweg durch den § 218 von vielen kranken und auch hunderttausenden von toten Frauen gesäumt ist - da hat sie gesagt, ich hätte mich decouvriert. Eine dumme und ignorante Position: Abtreibungen zu verbieten, um den Frauen das zu ersparen. Wieviele hunderttausende wären trotzdem geschädigt, wenn sie das Kind bekommen hätten, physisch und psychisch, wären aus dem Leben geschieden, hätten es auf eigenes Risiko versucht... Unglaublich, wie man sowas sagen kann, von so wenig praktischem Wissen geprägt.

Haben Sie selbst Kinder?

Theissen: Ja, zwei.

Sie sind gegen das Urteil in Revision gegangen - wie lange müssen Sie warten, um zu erfahren, ob Sie in den Knast kommen?

Theissen: Innerhalb von 3/4 bis 1 Jahr. Dafür hab ich gute Anwälte, die mir ideell nahestehen und inzwischen Freunde geworden

sind. Man könnte sagen: Die arbeiten juristisch so wie ich medizinisch!

Es gibt ja in vielen Städten Solidaritäts-Gruppen, die für ein Theissen-Spendenkonto sammeln. Hier in Bremen z. B. Pro Familia. Ist das wichtig für Sie?

Theissen:Die 'Humanistische Union‘ hat ein Spendenkonto eröffnet - sonst hätte ich das finanziell gar nicht durchstehen können. Das geht in die Hunderttausende. Auch privat haben sich viele solidarisiert. Inge Meysel, hab ich gehört, hätte 10.000 Mark gespendet... Die hat auch in einem Prominenten-Interview in der BILD am Schluß gesagt: 'Im Bett sind sie alle gleich, ob sie CDU oder sonst was sind!‘

Was machen Sie denn jetzt? Ich hab sie hier auf der Bremer 'Hafa‘ im „Allgäuer Kräuterhaus“ als „Arzt für Naturheilkunde und Homöopathie“ angetroffen...

Theissen: Ich bin hier als Repräsentant für einen Freund, der einen Naturheilmittel-Vetrieb hat. Ich stell die Sachen hier vor und guck mir das Ganze mal an.

Das Berufsverbot gilt frühestens ab Rechtskraft des Urteils, also nach der Revision?

Theissen: Genau. Im Augenblick dürfte ich praktizieren, ich kann es aber im Moment nicht nach all dem. Um die existentiellen Probleme - da muß ich mich in absehbarer Zeit neu orientieren, in sehr absehbarer Zeit.

Hat Sie das Verfahren sehr mitgenommen?

Theissen: Ich war wütend und zornig, aber nicht nur übers Gericht, auch über Patientinnen. Die haben manchmal ausgesagt, als wenn ich mit denen fast nichts gemacht hätte

-aber wahrscheinlich, um möglichst schnell vom Gericht loszukommen. Über das Gericht hab ich mich permanent so aufgeregt, daß ich fast auf

springen und tätlich werden wollte, wie die die Patientinnen bis zum Heulen gebracht haben und dann fruchtbar inadäquat reagiert haben und jeder Trost unterblieb.

Sie kommen aus Kleve im Rheinland und leben in Bayern. Haben Sie zu Bremen besondere Beziehungen?

Theissen: Nein. Die Pro Familia Bremen ist damals bei der ersten großen Demonstration in Memmingen mit einer ziemlich großen Mannschaft dagewesen, und weil die ProFa in Deutschland als federführend und besonders liberal gilt, haben die so eine Vorreiterrolle in den Bewegungen übernommen.

Bei dem 10jährigen Jubiläum der Bremer Pro Familia haben Vertreterinnen gesagt: „Was Theissen in Memmingen gemacht hat, machen wir hier auch täglich - Indikation, Beratung und Abtreibungen unter einem Dach nur daß wir legalerweise immer einen zweiten Arzt/Ärztin dabeihaben.“

Theissen: Mein Vorgehen sollten wir als erstrebenswert hinstellen, das finde ich noch besser als bei ProFa, daß die Leute gar nicht in traumatisierende Institutionen müssen. Daß sie das Gefühl kriegen, daß im Rahmen des normalen Praxisablaufs Abtreibungen auch nichts anderes sind als Schwangerschaftsuntersuchungen oder sonst was.

Meine Praxis ist eingerichtet wie ein Wohnzimmer - lange, bevor das Mode wurde. Ich hab auch Geburtsvorbereitng gemacht und Hausgeburten, diese Kombination zusammen mit Naturheilkunde und Homöopathie ist sicher einmalig.

Wie leben Sie mit den Tötungs-und Mordvorwürfen?

Theissen: Ich bin zur Gynäkologie gekommen, weil ich im Krankenhaus gerade Geburtshilfe am liebsten gemacht habe! Wenn das Mord wäre, hätte ich ja - sozusagen förmlich mir selber entgegengearbeitet. Gespäch: Susanne Paa

Spendenkonto: Sonderkonto Dr. Theissen, Nr. 1700678604, BFG, BLZ 70010111