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Der STandard

■ Oscar Bronner, Chefredakteur und Herausgeber, Wien

Auflage 73.000, Leser 156.000, Umfang: 28 Seiten, Red.Mitarbeiter: 65 (davon 10 Koorrespondenten: 6 Ausland, 4 Inland)

Der 1987 gegründete 'Standard‘ (50% Axel Springer Verlag, 50% Oscar Bronner) ist nach rund 30 Jahren die erste neue Tageszeitung in Wien. Der 'Standard‘ bemüht sich als einzige Zeitung der ehemaligen mitteleuropäischen Metropole Wien, in der es vor 60 Jahren noch 30 Tageszeitungen gab, um unbeeinflußte und tendenzfreie Nachrichten.

Unser politisches Selbstverständnis: eine liberale Zeitung für intelligente Menschen d.h. größtmögliche Toleranz unter Ausklammerung rechts- und linksextremer Bereiche, sei es politisch, kulturell oder wirtschaftlich. Dem Leser soll die Möglichkeit gegeben werden, sich durch Nachricht plus Hintergrundinformation plus Analyse und eventuell Kommentare ein eigenes Bild über alle wichtigen Vorgänge im eigenen Land und in der Welt zu schaffen.

Information als Service? Ja - vor allem die Spezialinformation für Sonderbereiche, z.B. möglichst komplette Börseninformationen, Kulturinformationen, Informationen über Weltgeschehen sowie das innenpolitische „Angebot“, nicht nur in Wien, sondern auch in den wichtigen Zentren des Landes. Schließlich, wenn auch vermindert, einen Informationsservice, für chronikales Geschehen, Sport und in Sonderbereichen wie Innovation, Wissenschaft, Karriere, etc.

Die internationalen und nationalen politischen Nachrichten nehmen etwa den gleichen Platz ein, d.h. im Idealfall je drei Seiten pro Tag. Die Wirtschaft umfaßt etwa sechs bis sieben Seiten, die Kultur dreieinhalb bis vier Seiten pro Tag. Ein „Lokalteil“ im alten Sinn existiert nicht, wir haben eine sogenannte „Chronik-Seite“, in der wir wichtige Ereignisse aus der ganzen Welt, aus Österreich und Wien kurz zusammenfassen. Wir haben nur einen relativ kleinen Sportteil.

Reportagen werden ausgebaut, um in die Darstellung von weitreichenden Ereignissen eine zusätzliche lebendige Note einzubringen. Nicht-redaktionelle Autoren spielen in der Samstag-Beilage ALBUM und in den „Kommentaren der Anderen“ eine beträchtliche Rolle.

Im Zeitalter der Medienexplosion ist die Aufgabe der modernen Tageszeitung, ausgewogene, intelligent aufgearbeitete und von optischen oder anderen Momenten unbeeinflußte Grundinformationen anzubieten. Diese Rolle wird immer größer.

Investigative journalism/Klatsch (Boulevardelemente)?

Ich halte weder von „investigative journalism“ noch von „Klatsch“ in unserer Zeitung viel. „Investigative journalism“, wie er etwa von großen Wochenmagazinen dies und jenseits des Atlantik geübt wird, hat in unserer Tageszeitung, wenn überhqaupt, nur sehr beschränkt Aufgaben zu erfüllen. „Klatsch“ interessiert uns nicht. Hingegen spielen Bilder durchaus eine Rolle, als Zusatz zur Nachricht oder auch als unterhaltendes oder auflockerndes Element. Manchmal ist das Bild selbst Nachricht, und es wird dazu keine Story mehr benötigt.

Die Anforderungen an einen guten Tageszeitungsjournalisten scheinen uns dieselben zu sein wie vor etlichen Jahrzehnten. Wissen und Talent. Zuguterletzt Wissen um die eigene Macht und jenes Ausmaß an Berufsethos, das ihn diesen nicht mißbrauchen läßt.

„News business is local business“: Bei uns in Österreich waren die großen journalistischen Themen der letzten Jahre das Thema Waldheim und das Thema Ökologie, Hainburg, Tschernobyl und Wackersdorf und schließlich das Thema des Todes im Krankenhaus (am Beispiel der Tragödie im Wiener Krankenhaus Lainz). Die wichtigsten Themen der nächsten Zeit werden, soweit ich das beurteilen kann, im Osten zu finden sein. Was sich in Moskau und anderswo tut, ist so spannend und interessant, daß man eigentlich jeden Tag eine Sondernummer machen müßte.

Natürlich gibt es Grenzen der Informationspflicht, nämlich dort, wo die Privat- und Intimsphäre des Einzelmenschen beginnt. Abgesehen davon und innerhalb der Grenzen des guten Geschmacks sollte es keine „unantastbaren“ Themen oder Tabus geben.

Bei aller Hochachtung für Karl Marx glaube ich doch, daß dieses Diktum ein sehr oberflächliches und keineswegs für jedermann und jede Zeitung gültiges Prinzip sein kann. Natürlich muß in der Redaktion einer Tageszeitung eine gewisse Disziplin herrschen, es muß eine Hierarchie existieren, um überhaupt das Erscheinen der Zeitung möglich zu machen und dem Leser die Garantie zu geben, daß er wirklich das erhält, was er von einer Zeitung zu erwarten berechtigt ist. All das ist auch ohne Diktatur möglich.

Nach sechs Monaten Erscheinen haben 62,3 Prozent unserer Leser Abitur oder Uni-Abschluß, 56,4 Prozent sind unter 39 Jahre alt und 59,5 Prozent sind männlichen Geschlechts. Das Land, in dem unsere Zeitung erscheint, liegt im Herzen Europas und ist immer dann gut gefahren, wenn in Europa Frieden herrschte. Auf jeden Fall halten wir Europa für wichtig, wir glauben nur nicht, daß es am Eisernen Vorhang endet, sondern würden lieber die Grenze am Ural ziehen. Internationalität ist dort schön und mehr als ein Schlagwort, wo es hinpaßt, zum Beispiel eine internationale Gesellschaft, eine internationale Firma, ein internationales Kunstfestival, eine internationale Sportveranstaltung und so weiter. Wir sind alle über die nationalen Schranken hinaus interessierte Menschen geworden. In diesem Sinne glauben wir, daß sowohl Europareife wie Internationalität in der Zeitung einen sinnvollen Platz haben.

Die erfolgreiche Tageszeitung der Zukunft stelle ich mir so vor, wie ich mir den 'Standard‘ in fünf Jahren erhoffe: Viele Nachrichten, diese wohl recherchiert, ohne Tendenz gebracht, gestützt auf Analysen, vielleicht auch Reportagen, mit besonderer Betonung auf den Gebieten Außenpolitik/Innenpolitik, Wirtschaft und Kultur. Chronik und Sport nur am Rande. Die Wochenendbeilage, eine farbige und qualitativ gehobene Insel im Strom der Tagesereignisse, auf der man sich ein bißchen erholen kann. Ja, und dazu jeden Tag entsprechende Meinungen, unsere eigenen und die von Gästen.

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